Was hat die Gestaltung von Arbeitsräumen mit der Zukunftsfähigkeit eines Unternehmens zu tun? Sehr viel, sagt Tobias Baur, Inhaber der strategischen Unternehmensberatung RaumRebellion für Raum- und Organisationsveränderung in Frankfurt am Main, und Unternehmensberater. Im Gespräch mit der IBA Forum Redaktion erklärt er, warum Raum mehr ist als Architektur, wie er strategische Veränderungen unterstützen kann und warum ohne kulturelle Stimmigkeit alles nur Fassade bleibt.
Herr Baur, Sie sagen, Raumtransformation sei weit mehr als Innenarchitektur. Was genau ist damit gemeint?
Wenn wir von Raumtransformation sprechen, geht es nicht in erster Linie um Möbel, Farben oder Grundrisse. Es geht um das tiefere Verständnis der Wirkung, die Räume auf Menschen und Organisationen haben. Raum kann ein strategisches Werkzeug sein, um Veränderungen in Unternehmen zu unterstützen und sogar zu beschleunigen. Innenarchitektur ist ein wichtiges Handwerk, aber sie greift oft zu kurz, wenn sie nicht in ein übergeordnetes Verständnis für die Identität, die Kultur und die Ziele eines Unternehmens eingebettet ist. Wie ich oft sage: Erst wenn man weiß, wer man ist und wo man hinwill, kann man überhaupt anfangen, Raum und Räume sinnvoll zu konzipieren, modellieren und zu gestalten. Räume, die nicht nur gut aussehen, sondern auch eine echte Wirkung entfalten – für die Zusammenarbeit, die Kultur und letztlich auch die wirtschaftlichen Ziele.
Inwiefern kann die Gestaltung von Arbeitsumgebungen dabei helfen, die strategische Ausrichtung eines Unternehmens klarer zu verankern?
Wenn ein Unternehmen seine strategische Ausrichtung kennt, lässt sich daraus ableiten, wie Menschen zusammenarbeiten sollten – und das wiederum beeinflusst die Raumgestaltung. Ein Beispiel: Ein Unternehmen aus der Modebranche wollte die Time-to-Market deutlich verkürzen. Die Analyse zeigte, dass das Problem weniger in den Prozessen als in der mangelnden Kommunikation lag: Die Abteilungen arbeiteten zu isoliert, da die Mitarbeiter sich kaum begegneten. Die Lösung bestand also nicht nur aus Prozessoptimierung, sondern auch aus räumlicher Nähe, Begegnungsflächen, offener Kommunikation und weniger Türen für mehr Austausch. So wurden Hindernisse abgebaut und der Raum zum Instrument, um das strategische Ziel zu unterstützen.
Welche Rolle spielt der physische Raum bei kulturellem Wandel, etwa bei Agilität, Vertrauen oder Kollaboration?
Eine sehr große. Räume sind immer ein Ausdruck der Unternehmenskultur. Wenn ich eine Organisation besuche, auf dem Flur große Plakate mit Werten wie „Wir begegnen uns auf Augenhöhe“ oder „Vertrauen ist unser Fundament“ sehe und dann durch Räume gehe, die auf Kontrolle, Abschottung und Silostrukturen ausgelegt sind, dann passt das nicht zusammen. Der Raum widerspricht der Botschaft. Diese Dissonanz merken Menschen sofort. Vertrauen entsteht nicht durch Plakate, sondern durch Erleben. Der Raum spielt also eine bedeutende Rolle. Vertrauen, Agilität und Zusammenarbeit brauchen einen Raum, der Offenheit, Transparenz und Begegnung ermöglicht. Sonst bleibt der kulturelle Wandel ein Lippenbekenntnis. Man spürt sofort, ob ein Raum zu einer Organisation passt oder nicht, ob es stimmig ist oder aufgesetzt wirkt.
Oft wird Transformation rein organisatorisch verstanden. Wie kann die räumliche Dimension gleichberechtigt einbezogen werden?
Indem man von Anfang an ganzheitlich denkt. Transformation ist kein isolierter IT- oder HR-Prozess, sondern betrifft alle Ebenen: Führung, Organisation, Technologie und Raum. Idealerweise setzen sich alle relevanten Akteure an einen Tisch und entwickeln gemeinsam ein Zielbild: Wie wollen wir arbeiten? Welche Kultur streben wir an? Was brauchen wir strukturell dafür? Und wie können Räume das unterstützen? Leider wird der Raum oft erst spät berücksichtigt – nach dem Motto „Ach ja, da brauchen wir auch noch was“ – oder lediglich als operative Maßnahme behandelt. Dabei kann die räumliche Dimension, richtig eingesetzt, eine enorme Hebelwirkung entfalten – wenn man sie frühzeitig einbindet.
Haben Sie ein Beispiel, bei dem die Raumtransformation die Zielerreichung deutlich unterstützt hat?
Ja, ein sehr eindrückliches Beispiel war ein global agierendes Mobilitätsunternehmen, in dem viele hoch spezialisierte Experten arbeiteten – jeder für sich und kaum im Austausch. Das Unternehmen wollte seine Innovationskraft steigern und schneller werden. Es brauchte also mehr Miteinander, Dialog und echten Wissenstransfer. Die Räume wurden so umgebaut, dass sich die Mitarbeiter zwanglos begegnen konnten. Es wurden bewusst offene Zonen, Werkstattbereiche und informelle Treffpunkte geschaffen. Anfangs war die Skepsis groß. Ein Teamleiter war regelrecht wütend über die Veränderung. Ein Jahr später sagte er: „Ich hätte nie gedacht, dass aus den Einzelkämpfern hier ein echtes Team wird, das sich rasend von Idee zu Idee weiterentwickelt“. Das war ein großes Kompliment und der Beweis dafür, welchen Einfluss Räume auf Verhalten und Kultur haben.
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Sie sprechen oft von Stimmigkeit. Was genau meinen Sie damit im Kontext von Räumen?
Stimmigkeit bedeutet, dass das, was ein Unternehmen vorgibt zu sein, mit dem, was man in den Räumen erlebt, übereinstimmt. Wenn es da eine Lücke gibt, spüren Menschen das sofort. Das kann demotivierend wirken, weil es nicht authentisch erscheint und vereinzelt sogar zynisch wird. Andersherum gilt: Betritt man Räume und hat sofort das Gefühl „Das passt zu denen“, dann ist das ein starkes kulturelles Signal nach innen wie nach außen. Es hat einen positiven Einfluss auf Identifikation, Engagement und letztlich auch auf die Attraktivität als Arbeitgeber.
Was wünschen Sie sich, wenn Unternehmen über Räume nachdenken?
Mehr Mut, mehr Ganzheitlichkeit und mehr Vertrauen in die Wirkungskraft von Raum. Raum ist nicht einfach nur da. Er beeinflusst, wie wir denken, arbeiten und miteinander umgehen. Wer das erkennt, kann ihn gezielt als Motor für Veränderung nutzen.
Herr Baur, vielen Dank für das Gespräch.