Walter Werzowa, Musikproduzent und Gründer der Streaming-Plattform HealthTunes, wird am 23. Oktober 2024 auf dem Work Culture Festival einen Vortrag zum Thema „Supported by Sound oder warum Musik die Arbeit beflügeln kann“ halten. Die IBA Forum Redaktion sprach mit ihm über die komplexe Rolle von Klangwelten am Arbeitsplatz, die Frage, ob absolute Stille tatsächlich ein Schlüssel zur Produktivität ist und wie durchdacht ausgewählte Klänge und Melodien die Konzentration und Kreativität fördern können.
Was hat dich dazu inspiriert, die heilende Wirkung von Musik zu erforschen und dich auf dieses Thema zu konzentrieren?
Als mein jüngster Sohn fünf Jahre alt war, wurde bei ihm die Legg-Calvé-Perthes-Krankheit (LCPD) diagnostiziert, eine schmerzhafte, sehr seltene und langwierige Krankheit. Wir entschieden uns gegen eine Operation und setzten stattdessen auf alternative Heilmethoden wie Osteopathie, Akupunktur und Zellheilung. Er erholte sich zum Glück recht schnell, was auch die behandelnden Ärzte beeindruckte. Dabei wurde mir bewusst, dass Klang und Musik einen großen Teil zu seiner Genesung beigetragen hatten. Und als Dankeschön – ich wurde in meinem Leben sehr erfolgreich – entschied ich, Eltern und Patienten mit dem gleichen Schicksal etwas zurückzugeben, indem ich HealthTunes zu entwickeln begann, eine Streaming-Plattform, die Musiktherapie evidenzbasiert für verschiedene medizinische Anwendungen nutzbar macht.
Kannst du erklären, wie Musik konkret dazu beitragen kann, Stress abzubauen und das Wohlbefinden am Arbeitsplatz oder im Büro zu steigern?
Musik wirkt auf vielfältige Weise stressreduzierend und steigert das Wohlbefinden am Arbeitsplatz. Durch Klang, Melodie und Rhythmus synchronisieren sich Gehirnwellen, Herzfrequenz und Atmung, was zu Entspannung und verbesserter Konzentration führt. HealthTunes integriert binaurale Frequenzen, die spezifische Gehirnwellenmuster fördern und so Stress abbauen. Zudem beeinflusst Musik die Emotionen positiv, hebt die Stimmung und unterstützt die Produktivität. Diese kombinierten Effekte schaffen eine harmonische und angenehme Arbeitsumgebung. Ein Beispiel für die kraftvolle Wirkung von Musik ist die Mozart-Sonate in D‑Dur, KV 448, die in klinischen Studien gezeigt hat, dass sie epileptische Anfälle um bis zu 70 % reduzieren kann. Diese Sonate wird derzeit erforscht, um herauszufinden, warum sie eine so starke Wirkung auf Epilepsiepatienten hat, insbesondere bei denen, die arzneimittelresistent sind.
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Du sagtest vorhin, dass deine Arbeit evidenzbasiert ist. Ist die Studie, von der du sprachst, ein Beispiel für den wissenschaftlichen Beweis der heilenden Wirkung von Musik?
Ja. Und wir alle wissen, dass wir Musik beim Training einsetzen, um uns in Schwung zu bringen und Energie zu tanken. Wir nutzen sie beim Sport, um unser Muskelgedächtnis zu trainieren. Es ist so viel einfacher, sich Zeiten und Abläufe in Verbindung mit Musik zu merken. Kinder lernen das Alphabet nicht, indem sie nur A, B, C, D, E, F, G auswendig lernen, aber wenn sie das Alphabetlied lernen, haben sie es in einer Minute drauf und singen es quasi automatisch. Und indem sie es singen, erinnern sie sich an die Wörter. Mit Musik ist das Lernen viel einfacher. Ich bin ausgebildeter Musiker und ich liebe Musik. Und ich bin immer mehr davon überzeugt, dass die erste Aufgabe der Musik darin besteht, unsere Gesundheit zu fördern. Und die zweite ist dann vielleicht, Menschen zu unterhalten.
Kommen wir zurück zu den Büroarbeitsplätzen. Wie kann Musik eingesetzt werden, um die Produktivität und Kreativität der Mitarbeiter zu steigern oder gar die Konzentration zu fördern?
Musik kann in Büros genutzt werden, um die Produktivität und Kreativität zu steigern, indem sie Teams verbindet und die Konzentration fördert. Sie hilft, Aggressionen abzubauen und schafft eine positive Atmosphäre. Schon kurze musikalische Interaktionen, wie gemeinsames Trommeln am Morgen oder das Anhören von HealthTunes-Playlisten, können Burn-out vorbeugen und den Arbeitsalltag angenehmer gestalten. Solche Programme steigern nicht nur das Wohlbefinden der Mitarbeiter, sondern erhöhen auch die Effizienz und Teamdynamik. Ein Start in den Tag mit Musik bedeutet, dass es mehr Spaß macht, zur Arbeit zu gehen, und für die Unternehmen bedeutet das eine höhere Produktivität und Freude, also eine Win-win-win-Situation.
Es geht also nicht nur darum, gemeinsam Musik zu machen, gemeinsam zu trommeln, sondern auch darum, mit spezieller HealthTunes-Musik den Tag im Büro zu starten. Kannst du uns noch ein oder zwei praktische Beispiele geben?
Das Wichtigste ist, Musik zu hören, die man persönlich mag, um positive Effekte zu erzielen. Eine Ausnahme ist das Mozart-Stück, das bei Epilepsie hilft – es wirkt unabhängig davon, ob man es mag. Jede Musik kann kraftvoll sein, selbst aggressive Musik, wenn sie der eigenen Vorliebe entspricht. Dazu gibt es auch eine schöne Anekdote aus einem Krankenhaus, wo ein älterer Mann lag, der an Krebs erkrankt war und dem genauso wie seinen Ärzten klar war, dass er noch in dieser Nacht oder vielleicht am nächsten Tag sterben würde. Der Arzt glaubte an die Kraft der Musik und fragte: „Möchten Sie jetzt etwas Musik hören?“ Der Mann nickte und sagte Ja. Und der Arzt fragte, „Was würden Sie gerne hören?“ Er antwortete: „AC/DC“. Wahrscheinlich denkt jeder, der die Geschichte hört, erst mal: „Oh mein Gott, Sie liegen im Sterben und wollen AC/DC hören?“ Und so sagte der Arzt: „Natürlich bringen wir Ihnen Ihre Wunschmusik, aber darf ich Sie fragen, warum?“ Und er sagte: „Ich war 50 Jahre lang verheiratet. Meine Frau hasst AC/DC. Aber ich habe AC/DC immer geliebt.“ Und ein paar Stunden später verstarb er friedlich.
Welche Rückmeldungen hast du von Unternehmen und Mitarbeitern erhalten, die HeathTunes nutzen?
Eines der stärksten Feedbacks ist, dass der Team-Aspekt zunimmt, selbst wenn man nicht zusammen trommelt, sondern seinen Tag damit beginnt, hereinzukommen und die Musik zu genießen. Es geht wirklich darum, diese fünf bis zehn Minuten kreativer Musik zu genießen. Und am Ende bekommt man eine kleine Notiz, um die Erfahrung Revue passieren zu lassen und zu sagen: Ich fühle mich besser, schlechter oder gleich gut. Man hört also wirklich in sich hinein: Wie geht es mir heute? Musik ist ein starkes Ritual und ein Bindeglied, das Unternehmen dabei hilft, Positives in das Leben ihrer Mitarbeiter zu bringen.
Glaubst du, dass es Unterschiede in der Wirkung von Musik am Arbeitsplatz gibt, je nach Branche oder Art der Arbeit?
Ja, und es ist eher genrespezifisch. Eine der Erkenntnisse, die mich zum Schmunzeln gebracht haben, war, dass Anwälte in den USA 80er-Jahre-Rockmusik lieben, und das finde ich witzig. Auch Ärzte neigen dazu, diese Art von Musik zu hören. Mitarbeiter haben natürlich spezifische Musikvorlieben und es gibt Ausreißer. Aber ich habe von Apple Music, Apple Classic, gelernt, dass es den einen Hörer nicht mehr gibt. Es gibt niemanden mehr, der nur Beethoven und Mozart oder nur Nine Inch Nails hört. Es scheint, dass die Mehrheit der Hörer und Abonnenten alle Genres hört, je nachdem, wie sie sich fühlen und was sie fühlen wollen. Es gibt es bei uns eine riesige Auswahl an verschiedenen Genres, von Ambient und Techno über EDM und Jazz bis hin zu Klassik und verschiedenen Stilen, sodass jeder herausfinden kann, was seine Vorlieben sind und sich auf die Reise zu seiner ganz persönlichen Gesundheitsmusik begeben kann.
Du sagtest, es gibt verschiedene Genres und auch verschiedene Persönlichkeiten. Wie erklärst du dir den Effekt, dass manche Menschen mit Musik effektiver arbeiten können, während andere absolute Stille bevorzugen?
Da kann es viele Faktoren geben. Wir Menschen sind Gewohnheitstiere, das weiß ich aus eigener Erfahrung. Ich bin in Wien aufgewachsen. Die Arztpraxis meines Vaters befand sich auch in unserer Wohnung, sodass wir während seiner Sprechzeiten sehr leise sein mussten und nur leise sprechen durften. Selbst nachdem ich 30 Jahre lang in den USA gelebt habe, wo es wirklich laut ist, bin ich nicht in der Lage, dieses Verhalten zu ändern. Aber wenn man in eine italienische Familie mit fünf Brüdern und Schwestern hineingeboren wurde, mag man wahrscheinlich eine andere Art von Lautstärke. Also ja, wir sind alle verschieden.
Lass uns ein wenig über Technologie sprechen. Welche Rolle spielt Technologie beispielsweise bei der Integration von Musik am Arbeitsplatz, insbesondere in Bezug auf deine Arbeit mit Studenten im Gesundheitswesen?
Technologie ist essenziell für die Integration von Musik am Arbeitsplatz, indem sie Musik zugänglich und personalisierbar macht. Streaming-Dienste sind eine einfache Möglichkeit, Musik abzuspielen, während Biosensoren individuelle Rückmeldungen geben, um die Musik optimal auf die Bedürfnisse der Mitarbeiter abzustimmen. Besonders in meiner Arbeit mit Studenten im Gesundheitswesen zeigt sich, wie KI Routineaufgaben übernimmt, zum Beispiel in der medizinischen Diagnose, was Ärzten mehr Zeit gibt, sich auf ihre Patienten zu konzentrieren und sich für sie Zeit zu nehmen, womit sie auch empathischer auf sie eingehen können. So verbessert Technologie nicht nur die Effizienz, sondern auch das menschliche Miteinander im Arbeitsumfeld.
Ich habe zwei letzte Fragen. Wie verändert das Zusammenspiel von KI und menschlicher Kreativität die Art und Weise, wie Musik komponiert und erlebt wird?
KI verändert die Musikkomposition, aber nicht so radikal wie frühere Entwicklungen wie das wohltemperierte Klavier von Werckmeister oder die Sonaten von Bach. Ich sehe KI als Werkzeug, das den kreativen Prozess unterstützt, nicht ersetzt. Der kreative Akt selbst bleibt entscheidend und wertvoll. Leider verlieren viele Menschen im Laufe ihres Lebens ihre kreative Ausdruckskraft. KI könnte hier helfen, die verloren gegangene Kreativität wiederzubeleben, indem sie Menschen ermutigt, sich erneut kreativ zu betätigen, ohne Angst vor Bewertung oder Kritik.
Welche Tipps würdest du Unternehmen geben, die Musik stärker als festen Bestandteil ihrer Arbeitskultur nutzen wollen?
Ruft mich an.
Walter, ich danke dir für das Gespräch.