Wie lassen sich Organisation, Raum und Mensch zukunftsfähig zusammendenken? Dieser Frage widmeten sich Katrin Mercsanits und Michael Wiebelt von M.O.O.CON auf dem Work Culture Festival 2025. Unter dem Titel „Unternehmensentwicklung und Unternehmensraum: Mit Mut die Zukunft positiv gestalten“ stellten sie vier Szenarien moderner Arbeitswelten vor und zeigten, wie sich Infrastruktur gezielt als Managementinstrument einsetzen lässt.
Infrastruktur als strategisches Werkzeug
Der zentrale Gedanke: Gebäude sind nicht nur Orte der Arbeit, sondern auch Ausdruck von Haltung, Kultur und Identität. „Wir verstehen Infrastruktur als Managementinstrument“, betonte Wiebelt. Die Art, wie Unternehmen ihre Räume gestalten, beeinflusst direkt, wie Menschen in ihnen agieren. Wer dies bewusst nutzt, kann Kultur nicht nur abbilden, sondern aktiv gestalten. Dabei sind Raum, Organisation und Mensch untrennbar miteinander verbunden.
Vier Szenarien für die Arbeitswelt von morgen
Basierend auf einem erweiterten Organisationsentwicklungsmodell, inspiriert unter anderem von Clare Graves und Frédéric Laloux, präsentierte das M.O.O.CON-Team vier Szenarien, die als Entwicklungsstufen moderner Arbeitswelten verstanden werden können:
1. Function-based Work
In dieser klassischen Struktur gleicht das Unternehmen einem Orchester: Jeder hat eine feste Rolle, klar definierte Aufgaben und arbeitet in abgeschlossenen Bereichen. Entscheidungen sind streng hierarchisch organisiert, Verantwortlichkeiten klar verteilt. Lernen findet überwiegend über standardisierte Schulungen und Handbücher statt. Der Raum ist entsprechend mit Einzel- oder Zweierbüros sowie abgetrennten Meetingräumen gestaltet. Der Kundenkontakt erfolgt meist in gesonderten Repräsentationsbereichen. Für viele Unternehmen, gerade in regulierten, prozessorientierten oder stabilen Branchen, ist dieses Modell nach wie vor angemessen und effizient.
2. Activity-based Work
Hier steht die Aufgabe im Vordergrund. Die Mitarbeiter wählen ihre Arbeitsumgebung je nach Tätigkeit: konzentriert, kollaborativ, kreativ oder kommunikativ. Die Raumangebote wie Projektzonen, Ruhezonen, Telefonboxen oder Workshop-Flächen sind auf maximale Flexibilität ausgelegt. Die offene Struktur erleichtert den spontanen Austausch und fördert Agilität sowie Eigenverantwortung. Digitale Tools ermöglichen eine standortübergreifende Zusammenarbeit. Führungskräfte agieren eher als Coaches und nutzen die gleichen Flächen wie ihre Teams. Dieses Szenario ist heute in vielen modernen Bürogebäuden und hybriden Arbeitsmodellen zu beobachten.
3. Content-based Work
In diesem Szenario wird das Büro zur Homebase für kollaborative Teams. Räumliche und soziale Strukturen ermöglichen ein hohes Maß an Selbstorganisation und gemeinschaftlicher Verantwortung. Die Teams gestalten ihre Arbeitsumgebung aktiv mit, beispielsweise durch modulare Möbel, flexible Zonierung oder personalisierte Räume. Coaching, Peer-Feedback und gemeinsame Zielbilder prägen die Kultur. Lernen findet informell statt, beispielsweise durch gemeinsames Tun, Projektarbeit und tägliche Interaktion. Die Räume unterstützen diese Kultur durch eine starke atmosphärische Identität, die Zugehörigkeit, Vertrauen und Stabilität vermittelt.
4. Purpose-based Work
Die bislang ambitionierteste Form: Unternehmen definieren sich über einen gemeinsamen Sinn und nicht mehr über klassische Hierarchien oder feste Rollen. Teams sind temporär, interdisziplinär und hochgradig selbstorganisiert. Grenzen zwischen Organisationen lösen sich auf und es entstehen neue Kooperationsformen über Plattformen und gemeinsame Anliegen. Der Raum muss maximale Offenheit, Flexibilität und kreative Begegnung ermöglichen. Mögliche Beispiele sind offene Innovationshubs, digitale Zwillinge und immersive Arbeitsumgebungen. Mögliche Arbeitsorte sind Co-Working-Spaces, virtuelle Realitäten, Berghütten oder Strände. Entscheidend ist nicht der Ort, sondern die gemeinsame Mission.
Raum macht Kultur sichtbar
Was alle Szenarien eint, ist die Auffassung, dass Raum als Spiegel organisationaler Reife verstanden wird. „Raum macht Kultur sichtbar und erlebbar“, betonte Mercsanits. Damit ist nicht nur die symbolische Wirkung von Architektur gemeint, sondern auch die tatsächliche Erfahrbarkeit von Werten, Haltungen und sozialen Dynamiken im Alltag. Ob ein Unternehmen auf Kontrolle oder Vertrauen setzt, ob Hierarchie oder Selbstorganisation gelebt wird, all das lässt sich am Raum ablesen: an der Art der Kommunikation, der Offenheit von Strukturen, der Zugänglichkeit von Führung oder der Flexibilität der Flächennutzung. Deshalb, so die These von M.O.O.CON, kann Organisationsentwicklung nur dann wirksam sein, wenn sie sich auch räumlich manifestiert. Räume sind keine neutralen Kulissen. Sie prägen Verhalten, Beziehungen und letztlich die Identifikation mit dem Unternehmen. Wer Veränderung will, muss also nicht nur Prozesse und Rollen, sondern auch Räume neu denken. Die beiden Berater betonten, dass es dabei nicht um Standardlösungen oder angesagte Konzepte geht, sondern um individuelle Strategien, da sich jede Organisation auf einem eigenen Entwicklungspfad befindet und eigene Bedürfnisse, Strukturen und Ziele hat. Gute Raumkonzepte orientieren sich deshalb nicht an Trends, sondern an der gelebten Kultur und der angestrebten Transformation. So wird Raum zum Resonanzkörper der Organisation und zu einem aktiven Hebel für Wandel und Innovation.
Das Wimmelbild der Arbeitswelten
Um die vielschichtigen Wechselwirkungen zwischen Mensch, Organisation und Raum greifbar zu machen, entwickelte M.O.O.CON ein visuelles Modell: das Wimmelbild der Arbeitswelten. Es ist ein visuelles Analyseinstrument, das die vier vorgestellten Szenarien in einer gemeinsamen, detailreichen Darstellung vereint. Es zeigt, wie sich Organisationen in Kommunikation, Kollaboration, Führung und Atmosphäre unterscheiden, und macht kulturelle Haltungen wie Kontrolle oder Vertrauen räumlich sichtbar. Unternehmen können das Wimmelbild nutzen, um die eigene Position zu reflektieren und Entwicklungspotenziale zu erkennen. So dient es als Inspirationsquelle und Werkzeug für die Organisationsentwicklung und stößt wichtige Diskussionen über Kultur und Verantwortung an.
Dialog statt Dogma
Ein zentrales Anliegen von Michael Wiebelt und Katrin Mercsanits war es, deutlich zu machen, dass es kein Richtig oder Falsch gibt. Jede Arbeitswelt hat ihre Berechtigung, sofern sie zur jeweiligen Unternehmensrealität passt. Entscheidend ist der bewusste Umgang mit Raum als Ressource, die kulturellen Wandel ermöglicht. Organisationen sind aufgefordert, sich diesen Fragen aktiv zu stellen – in Form eines strategischen Dialogs zwischen Mensch, Aufgabe und Ort. Zukunft braucht Mut zur Gestaltung. Unternehmensentwicklung beginnt nicht mit einem Grundriss, sondern mit einer Vision. Wer Raum als Managementinstrument versteht, kann Kultur nicht nur abbilden, sondern auch vorantreiben. Für die Herausforderungen von morgen gibt es kein Patentrezept, wohl aber kluge Fragen, klare Modelle und eine offene Haltung. Die Erkenntnis lautet: Die Zukunft der Arbeit ist gestaltbar. Man muss sich nur trauen.
Katrin Mercsanits ist Betriebswirtin mit Schwerpunkt Change-Management und arbeitet als Seniorberaterin bei M.O.O.CON. Sie begleitet Organisationen durch komplexe Transformationsprozesse und setzt dabei auf einen nutzerzentrierten und beteiligungsorientierten Ansatz. Weitere Informationen unter: moo-con.com.
Michael Wiebelt ist Architekt und Partner bei M.O.O.CON. Als Mitglied der Geschäftsleitung leitet er das Frankfurter Team und berät an der Schnittstelle von Organisations- und Gebäudeentwicklung. Sein Fokus liegt auf strategischen Raumlösungen für private und öffentliche Auftraggeber. Weitere Informationen unter: moo-con.com.
Titelbild: @ IBA