Auf dem Work Culture Festival 2025 gewährten Axinia Braunisch vom Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft (ZBW) und Dr. Robert Polgar von der Stiftung Medien in der Bildung (IWM) Einblicke in ein Transformationsprojekt der Leibniz-Gemeinschaft. In ihrem Vortrag zeigten sie, wie sich die Welt der außeruniversitären Forschungseinrichtungen neu erfindet und warum das Teilen von Wissen, Infrastruktur und Raum der Schlüssel dazu sein kann.
Wissenschaft im Spannungsfeld von Freiheit und Regularien
Braunisch und Polgar eröffneten ihren Vortrag mit einem Blick hinter die Kulissen des wissenschaftlichen Alltags. Forschungseinrichtungen wie das ZBW und das IWM stehen für Exzellenz, Innovation und gesellschaftlichen Fortschritt, bewegen sich jedoch oft in hierarchischen und bürokratischen Strukturen. „Wir produzieren Wissen und gestalten Zukunft, arbeiten aber häufig noch mit den Instrumenten von gestern“, so Polgar. Wissenschaft brauche Freiheit und Kreativität, doch öffentliche Finanzierung und Verwaltung verlangen strikte Prozesse und Nachweise. Diesen Spagat erleben beide täglich – und sehen gerade darin die Notwendigkeit, Wissenschaft als Organisation weiterzuentwickeln.
Der Ausgangspunkt: New Work trifft Wissenschaft
Der geplante Bezug zweier neuer ZBW-Gebäude in Hamburg markierte den Ausgangspunkt für den Wandel. Corona und Digitalisierung hatten die Anforderungen an Arbeitsorte grundlegend verändert: Räume für Kollaboration, hybride Formate und soziale Interaktion waren gefragt. Statt klassischer Einzelbüros rückte ein offenes Raumkonzept in den Mittelpunkt und wurde zur Initialzündung für das Projekt „WorkNew@leibniz“. Die ZBW lud andere Leibniz-Institute ein, gemeinsam über die Zukunft der Arbeit in der Wissenschaft nachzudenken. Daraus entstand eine Plattform für Austausch und Inspiration, etwa in Form von „New-Work-Safaris“ bei anderen Institutionen und Unternehmen.
Von der Inspiration zur Kooperation
Schnell wurde klar: Neue Räume allein reichen nicht. Auch Strukturen, Prozesse und Haltungen müssen sich wandeln. „Viele Institute haben wunderschöne neue Arbeitswelten, aber sie stehen leer. Raum allein reicht nicht“, so Braunisch. Deshalb wurde WorkNew@leibniz konsequent weiterentwickelt, mit dem Ziel, echte Zusammenarbeit zu ermöglichen. Ein zentrales Ergebnis ist die Webplattform WORKNEW@leibniz: Sie bietet Impulse, Materialien und Praxisbeispiele für neue Arbeitsformen in der Wissenschaft – offen, interaktiv und niedrigschwellig. Die Plattform versteht sich als Werkzeugkasten, der je nach Bedarf genutzt und ergänzt werden kann. Besonders stolz ist das Team auf die Zusammenarbeit mit der Hochschule für Gestaltung Offenbach, deren Studierende das visuelle Erscheinungsbild entwickelten und eine frische Perspektive in die Wissenschaftskommunikation brachten. „Wir wollten ein Tool schaffen, das inspiriert, nicht belehrt“, betont Polgar.
Der nächste Schritt: Ressourcen teilen
Die Vision geht noch weiter: Im Folgeprojekt wollen Braunisch und Polgar nicht nur Wissen, sondern auch Infrastruktur und Ressourcen institutsübergreifend teilen. Warum sollte ein Arbeitsplatz, Seminarraum oder Laborgerät ungenutzt bleiben, wenn es anderswo gebraucht wird? Künftig sollen Arbeitsplätze, Meetingräume, Laborgeräte oder Weiterbildungsangebote über eine gemeinsame Plattform buchbar sein. Ein Prototyp der App ist bereits in Arbeit. Sie soll es Mitarbeitern ermöglichen, während eines Projekts in einer anderen Stadt auf die Infrastruktur eines nahegelegenen Leibniz-Instituts zuzugreifen oder dort temporär zu arbeiten. Das Projekt reagiert damit auf Probleme wie Fachkräftemangel, mobile Projektstellen und den Wunsch nach ortsflexiblem Arbeiten. „Wir sehen enormes Potenzial darin, Menschen und Ressourcen neu zu vernetzen“, so Braunisch. Gleichzeitig entsteht ein Modellprojekt für nachhaltige Ressourcennutzung in der Wissenschaft. Durch smarte Koordination könnten Büroflächen, Geräte und Services effizienter genutzt und die Attraktivität der Leibniz-Institute als Arbeitgeber gesteigert werden. Gerade bei befristeten Stellen oder langen Pendeldistanzen ist die Möglichkeit, in einem anderen Institut vor Ort zu arbeiten, ein echter Vorteil. Die Umsetzung ist allerdings anspruchsvoll, denn die Leibniz-Gemeinschaft ist ein Netzwerk aus 96 eigenständigen Einrichtungen. „Wir bauen keine Plattform auf Anweisung, sondern eine kollaborative Infrastruktur auf Basis von Vertrauen“, so Polgar. Das ist der entscheidende Unterschied: Offenheit ermöglicht Vielfalt, verlangt aber auch Kooperationsbereitschaft, Dialog und Geduld.
Kulturwandel statt Technologieprojekt
Im Zentrum steht nicht die Technik, sondern ein Kulturwandel. Offenheit, Vertrauen und Kooperation sind die Basis. „Wir wollen kein weiteres Tool etablieren, sondern ein neues Mindset“, sagt Polgar. Die technische Infrastruktur ist nur ein Vehikel – das Ziel ist kultureller Wandel. Denn wer über Zusammenarbeit spricht, muss sich fragen: Wie wollen wir künftig arbeiten? Wie entsteht gute Forschungskultur? Und wie können wir Räume schaffen, in denen Interdisziplinarität, Diversität und Teilhabe wirklich gelebt werden?
„Building the Collaboration of Tomorrow“ ist ein praktischer Versuch, Wissenschaft von innen zu erneuern und neue Wege zu finden, um gesellschaftliche Verantwortung wahrzunehmen und Wandel zu ermöglichen. Dafür braucht es Mut zur Offenheit, die Bereitschaft zum Teilen und eine Infrastruktur, die Zusammenarbeit fördert. Wer die Zukunft gestalten will, muss bei den Bedingungen beginnen, unter denen sie entsteht, und lernfähig bleiben. Das Projekt „WorkNew@leibniz“ ist ein ermutigendes Beispiel dafür.