Kartenschatten

Newsroom

Führen in komplexen Situationen: Kapitänin Nicole Langosch im Gespräch

Work Culture Festival

Nicole Langosch im Gespräch mit Wolfram Sauer und Michael Trautmann. Bild: IBA
IBA Redaktionsteam IBA Redaktionsteam ·
7 Minuten

Auf dem Work Culture Festival 2024 sprachen Nicole Langosch, Deutschlands erste Kreuzfahrtkapitänin, und Michael Trautmann, Unternehmer, Berater und Co-Host des Podcasts „On the Way to New Work“, mit Wolfram Sauer über Führung in komplexen Situationen. Dabei ging es um Verantwortung, Entscheidungsfindung, Teamarbeit und den Mut, neue Wege zu gehen. Die Diskussionsrunde bot wertvolle Einblicke in die Parallelen zwischen Führung auf hoher See und modernen Unternehmensstrukturen.

Ein ungewöhnlicher Weg zur Kapitänin

Nicole Langosch ist auf den ersten Blick kein klassischer Seefahrertyp. Die gebürtige Hessin, die fernab der Meere aufwuchs, fand ihren Weg zur Schifffahrt über ihre Leidenschaft für die Seefahrt und das Segeln mit der Familie. „Mein Weg zur Kapitänin war nicht geplant, sondern hat sich entwickelt“, erzählte sie. Nach dem Abitur entschied sie sich für ein Nautikstudium, das neben technischen Fächern auch Jura, Medizin und Mathematik umfasste. Ihr erster Praxiseinsatz war ein halbes Jahr auf einem Containerschiff, eine Zeit, die für sie vor allem eine „intensive Erfahrung von Selbstständigkeit und Teamarbeit“ war. „Ich habe das damals wie ein ‚Work and Travel‘-Jahr gesehen – nur auf See“, sagte Langosch. Ihr beruflicher Weg führte sie weiter in die Passagierschifffahrt, wo sie sich über verschiedene Ränge bis zur ersten deutschen Kapitänin auf einem Kreuzfahrtschiff hocharbeitete. „Dass ich als Frau in dieser Position eine Ausnahme war, war mir bewusst, aber das wollte ich nie in den Vordergrund stellen. Letztlich geht es um Kompetenz, nicht um das Geschlecht.“

Führung heißt Verantwortung und Vertrauen

Auf See ist Führung unerlässlich, vor allem in Notsituationen. „Ein Schiff ist ein schwimmendes Hotel, aber mit einer klaren Hierarchie – die Sicherheit aller an Bord steht über allem.“ Doch anders als das klassische Bild des autoritären Kapitäns vermuten lässt, setzte Langosch auf Teamwork. „Eine einzelne Person kann ein Schiff nicht sicher navigieren. Deshalb ist es wichtig, alle Meinungen zu hören und gemeinsam gute Entscheidungen vorzubereiten.“ Ein zentrales Element ist das sogenannte Bridge Resource Management, das in der Schifffahrt eingeführt wurde, um menschliche Fehler zu minimieren. „Jeder im Team muss sich trauen, auch dem Kapitän zu widersprechen. Nur so lassen sich Fehler vermeiden, die durch Hierarchiedenken oder mangelnde Kommunikation entstehen.“ Langosch erklärte, dass es entscheidend sei, ein Klima des offenen Dialogs zu schaffen, in dem es keine Scheu gebe, auf Probleme hinzuweisen oder alternative Lösungsansätze vorzuschlagen: „Wenn niemand den Mut hat, Einwände zu äußern, riskieren wir Fehlentscheidungen, die im schlimmsten Fall fatale Folgen haben können.“ Besonders spannend sei in diesem Zusammenhang das sogenannte Think-aloud-Prinzip, das sich in der Schifffahrt etabliert habe: Führungskräfte und Offiziere sprechen ihre Gedanken laut aus, bevor sie eine Entscheidung treffen. „Indem man laut ausspricht, was man tun will, gibt man anderen die Möglichkeit, Fehler frühzeitig zu erkennen oder alternative Lösungen vorzuschlagen, bevor eine Handlung unumkehrbar wird.“ Das erhöhe nicht nur die Sicherheit, sondern auch das Verantwortungsbewusstsein im Team.

Ein Ansatz, den Langosch auch in der modernen Wirtschaftswelt für unverzichtbar hält. „In Unternehmen erleben wir oft, dass sich Mitarbeiter nicht trauen, Kritik zu äußern oder Verbesserungsvorschläge zu machen – aus Angst vor negativen Konsequenzen. Echte Führung bedeutet aber, sich aktiv mit unterschiedlichen Perspektiven auseinanderzusetzen und andere Sichtweisen nicht nur zuzulassen, sondern gezielt zu fördern.“ Der Schlüssel dazu sei Vertrauen: „Mitarbeiter, die sich sicher fühlen, ihre Meinung einzubringen, tragen aktiv zu besseren Entscheidungen und mehr Innovationskraft bei.“ Ein weiteres wichtiges Element sei die Vorbildfunktion der Führungskraft: „Ein Kapitän, der sich nicht für die Sicherheit interessiert, wird auch keine Crew haben, die sich engagiert. So ist es auch im Unternehmen – Führung muss vorleben, was sie einfordert.“ Dazu gehöre auch, klare Werte und Strukturen zu vermitteln, ohne dabei den menschlichen Aspekt zu vernachlässigen. „Man kann Autorität haben, ohne autoritär zu sein. Echte Führung bedeutet, sich Respekt zu verschaffen, nicht durch Befehle, sondern durch Vertrauen und Kompetenz.“

Lesen Sie auch

Cawa Younosi, Work Culture Festival 2024. BIld: IBA
Work Culture Festival Fachkräftemangel: Cawa Younosi über Chancen und ungenutztes Potenzial

Krisenmanagement und Entscheidungen unter Zeitdruck

Auf hoher See gibt es immer wieder Momente, in denen schnelle Entscheidungen gefragt sind: „In Krisensituationen bleibt keine Zeit für lange Diskussionen, dennoch braucht es klare Prozesse, um keine übereilten Entscheidungen zu treffen.“ In der Schifffahrt gibt es dafür bewährte Methoden wie den Situation Report (Sit-Rep), bei dem das Team in kürzester Zeit Lageeinschätzungen und Lösungsvorschläge liefert. „Wir setzen dabei auf ein strukturiertes Vorgehen: Zuerst schildern alle Beteiligten in wenigen Worten ihre Sicht der Situation – sachlich, ohne Emotionen. Zweitens folgt eine kurze Einschätzung der Risiken und möglichen Auswirkungen. Und drittens präsentieren die Teammitglieder Lösungsvorschläge.“ Dieses Verfahren sei enorm effizient, weil es schnelle, aber fundierte Entscheidungen ermögliche. Langosch machte deutlich, dass es dabei nicht nur auf die eigene Entscheidungsfähigkeit ankomme, sondern auch auf die Fähigkeit, unter Druck ruhig zu bleiben. „Panik ist der größte Feind guter Entscheidungen. Wer in einer Krisensituation hektisch handelt oder sich von Angst treiben lässt, verschlimmert das Problem meist noch. Deshalb ist es wichtig, im Vorfeld klare Abläufe festzulegen, damit im Ernstfall jeder weiß, was zu tun ist. Solche Prinzipien lassen sich laut Langosch auch in der Unternehmenswelt erfolgreich anwenden. „In vielen Unternehmen werden in Krisensituationen Entscheidungen entweder zu langsam oder zu unüberlegt getroffen. Manche Firmen verzetteln sich in endlosen Meetings, andere ergreifen hektisch Maßnahmen, ohne alle Fakten zu prüfen. Eine klar strukturierte Entscheidungsfindung unter Stress – wie in der Schifffahrt – könnte helfen, bessere und effizientere Lösungen zu finden.“

Mut zur Veränderung: Neue Wege gehen

Sowohl Nicole Langosch als auch Michael Trautmann haben sich nach erfolgreichen Karrieren bewusst für einen neuen Weg entschieden. „Irgendwann habe ich gemerkt, dass ich mein Leben verändern möchte. Ich wollte nicht immer auf Familienfeste verzichten müssen, weil ich auf See war“, sagte Langosch. Heute arbeitet sie an Land im technischen Management für Expeditionsschiffe und bringt ihre Erfahrungen in eine neue Rolle ein. „Es war keine leichte Entscheidung, aber ich wusste, dass ich etwas anderes ausprobieren wollte.“ Auch Trautmann, der lange in der Werbebranche tätig war, hat sich für eine neue Richtung entschieden. „Ich habe viele Jahre in einem extrem schnelllebigen Umfeld gearbeitet, aber irgendwann habe ich gemerkt, dass ich meine eigene Entwicklung vernachlässige. Heute arbeite ich als Coach und Berater für Menschen, die sich beruflich neu orientieren wollen.“

Ein neuer Blick auf Führung

Der Talk mit Nicole Langosch machte deutlich, wie sehr sich Führung in den unterschiedlichsten Kontexten ähnelt – ob auf hoher See oder in der Geschäftswelt. Klarheit, Vertrauen und die Fähigkeit, in kritischen Momenten ruhig und strukturiert zu handeln, sind zentrale Elemente erfolgreicher Führung. Der Perspektivwechsel von der Schiffsbrücke zur Unternehmenswelt machte deutlich, dass es nicht nur auf Hierarchien oder Entscheidungsbefugnisse ankommt, sondern auch auf Teamwork, Offenheit und die Bereitschaft, Veränderungen aktiv zu gestalten. Eine Lektion, die nicht nur für Kapitäne, sondern für Führungskräfte aller Branchen relevant ist.

Lesen Sie auch

Work Culture Festival: Frauke von Polier im Gespräch mit Michael Trautmann. Bild: IBA
Work Culture Festival Frauke von Polier im Gespräch: Sinn, Human Experience Management und Führung als Erfolgsfaktoren für Transformation

Nicole Langosch wuchs in Hessen auf und entschied sich nach dem Abitur für ein Nautikstudium in Leer. Nach ersten Erfahrungen auf Frachtschiffen wechselte sie zur AIDA-Flotte, wo sie als Offizierin tätig war und sich bis zur Kapitänin hocharbeitete. Mit 34 Jahren wurde sie die erste deutsche Kapitänin eines Kreuzfahrtschiffs. Nach über 11 Jahren auf See wechselte sie an Land und war zunächst als Marine-Superintendentin tätig. Seit 2022 ist sie Managing Director bei der Hurtigruten Expedition Technical Services GmbH und arbeitet im technischen Management für Expeditionsschiffe.

Titelbild: © IBA