Inwieweit kann Kunst den Arbeitsplatz verändern? Und was passiert, wenn Kunst auf Unternehmensrealität trifft? Auf dem Work Culture Festival diskutierten die Theatermacherin Nicola Bramkamp, der Galerist Berthold Pott und Julia Wedlich, Kunstkuratorin bei Kienbaum Consultants International, über das Zusammenwirken von Kunst und Arbeitswelt. Ihr gemeinsames Fazit: Kunst ist weit mehr als Dekoration – sie ist Katalysator für Kreativität, Begegnung und Transformationsprozesse in Organisationen.
Bramkamp machte gleich zu Beginn deutlich, wie wichtig es sei, Kunst nicht nur als „schönes Beiwerk“ zu verstehen, sondern als eigenständige Kraft im Wandel der Arbeitswelt. „Kunst schafft Perspektivwechsel und damit neue Denkräume. Sie kann Impulsgeber sein – für den Einzelnen wie für ganze Organisationen.“
Kunst als Brücke zwischen Menschen und Ideen
Julia Wedlich, die seit vielen Jahren die Kunststrategie bei Kienbaum mitgestaltet, berichtete von der Idee, Kunst nicht nur in Empfangsbereichen oder Büros aufzuhängen, sondern aktiv in den Arbeitsalltag zu integrieren. „Kunst ist für uns ein Kommunikationsangebot. Sie bringt Menschen ins Gespräch, schafft Identifikation und zeigt, dass es Raum für andere Sichtweisen gibt.“ Entscheidend sei nicht, dass alle Werke jedem gefallen. Entscheidend sei, dass Kunst Gespräche auslöst und die Mitarbeiter ermutigt, ihre eigene Perspektive einzubringen. Berthold Pott, Galerist und Mitglied der New Art Dealers Alliance (NADA), bestätigte diese Erfahrung aus seiner Praxis: „Unternehmer und Künstler haben oft mehr gemeinsam, als man denkt. Beide sind visionär, risikobereit, von Ideen getrieben. Wenn diese Welten aufeinandertreffen, entsteht ein Dialog, der weit über ästhetische Fragen hinausgeht.“
Von der Wand ins Unternehmen: Interaktion statt Dekoration
In der Diskussion wurde deutlich: Kunst am Arbeitsplatz muss sich nicht auf Bilder an der Wand beschränken. Interaktive Formate wie Künstlergespräche, Atelierbesuche oder performative Interventionen können neue Impulse geben, sowohl für die Unternehmenskultur als auch für individuelle Lernprozesse. Wedlich berichtete von einem Künstlerbuchprojekt bei Kienbaum, das nicht nur als Kundengeschenk weitergegeben wurde, sondern auch intern für intensive Diskussionen sorgte. Auch Führungen durch wechselnde Ausstellungen in den Büroräumen oder Begegnungen mit Künstlern in der Mittagspause erweitern den Horizont und bringen Menschen in ungewohnten Konstellationen zusammen. Solche Begegnungen ermöglichen nicht nur Austausch, sondern auch Reibung – und genau darin liegt ihr Wert. Wenn Kunst in Organisationen Einzug hält, stellt sie Routinen infrage, öffnet den gedanklichen Horizont und schafft Raum für neue Perspektiven. Bramkamp nannte ein Beispiel aus der Praxis: Der Schweizer Unternehmer Hans-Dietrich Reckhaus stellte auf Anregung eines Künstlerkollektivs sein gesamtes Geschäftsmodell infrage und baute sein Insektenbekämpfungsunternehmen zu einem Vorreiter für Biodiversität um. „Solche Impulse kommen nicht aus der Norm. Sie kommen aus der Kunst.“
Kunst schafft Freiräume – auch für Widerspruch
Nicht zuletzt sprachen die Panelteilnehmer auch über die Wirkung von Kunst als Gegenstand gesellschaftlicher Auseinandersetzung. „Wir haben die Erfahrung gemacht, dass selbst abstrakte Kunstwerke Diskussionen auslösen“, sagte Wedlich. „Das zeigt: Allein die Entscheidung, Kunst zu zeigen, bedeutet, sich zu öffnen und damit auch angreifbar zu sein.“ Bramkamp betonte, wie wertvoll dieser Raum für Ambivalenzen sei: „Wenn Unternehmen Kunst zulassen, lassen sie auch zu, dass nicht alles planbar ist. Dass etwas irritieren darf. Und genau da beginnt Transformation. Denn wo Widerspruch möglich ist, entsteht die Chance zu echter Auseinandersetzung, jenseits von Harmoniebedürfnis und Konsenslogik. Kunst schaffe genau diese Räume: Orte, an denen nicht alles gefallen muss, an denen Unsicherheit erträglich wird und neue Perspektiven entstehen können. Gerade in dieser Offenheit liege das Potenzial für eine lebendige Unternehmenskultur. „Kunst macht sichtbar, was sonst unausgesprochen bleibt, nicht nur im gesellschaftlichen, sondern auch im unternehmerischen Kontext.“ Dialog, da waren sich die Teilnehmer einig, beginnt oft dort, wo Irritation entsteht. Wer diese Reibung nicht nur zulasse, sondern gezielt fördere, fördere auch Kreativität, Reflexion und Veränderungsbereitschaft. Kunst wird so zum Medium des Diskurses und zum Resonanzraum für Haltung.
Kunst wirkt – auch ohne KPI
Auch wenn Studien belegen, dass Kunst die Mitarbeiterzufriedenheit steigert oder Krankheitstage reduzieren kann, das Panel war sich einig: Die tatsächliche Wirkung von Kunst entzieht sich oft quantitativen Maßstäben. „Nicht alles, was wirkt, ist messbar“, so Bramkamp. „Manche Veränderungen zeigen sich in Gesprächen, im Klima, in der Haltung.“ Kunst lässt sich nicht auf Kennziffern reduzieren – und muss es auch nicht. Vielmehr schafft sie Atmosphären, öffnet Denk- und Handlungsräume und ermöglicht Erfahrungen jenseits des Zweckrationalen. Einig war sich die Expertenrunde auch darin, dass Kunst am Arbeitsplatz eine Haltung braucht und die Unterstützung der Unternehmensleitung. „Ohne echtes Interesse, ohne Offenheit wird Kunst zur reinen Dekoration“, so Pott. „Aber wenn die Führung mitgeht, kann daraus ein echter Kulturwandel entstehen.“
Das Panel endete mit einer klaren Botschaft: Wer kreative Potenziale freisetzen will, muss dafür auch neue Räume schaffen – geistig wie physisch. Kunst kann dabei eine Brücke sein, ein Verstärker, ein Katalysator. Und manchmal einfach nur ein Gesprächsangebot. Denn, so Julia Wedlich: „Wenn Kunst Menschen miteinander ins Gespräch bringt, hat sie schon viel erreicht.“
Nicola Bramkamp hat Theaterwissenschaft, Germanistik und Betriebswirtschaftslehre studiert und war unter anderem als Dramaturgin, Theater- und Festivalmacherin tätig, zuletzt als Schauspieldirektorin am Theater Bonn. 2018 gründete sie die Initiative SAVE THE WORLD, die Experten aus Wissenschaft, Wirtschaft und Kultur zusammenbringt, um globale Zukunftsfragen kreativ zu inszenieren. Mit innovativen Formaten an der Schnittstelle von Kunst, Wissenschaft und Gesellschaft setzt sie Impulse zu Themen wie Nachhaltigkeit, Diversität und Transformation. Als Beraterin, Speakerin und Moderatorin ist sie regelmäßig auf Konferenzen und Kulturveranstaltungen im In- und Ausland präsent. Weitere Informationen: www.savetheworld.de
Julia Wedlich ist Kunsthistorikerin und Kuratorin bei Kienbaum Consultants International. Seit vielen Jahren gestaltet sie die Kunststrategie des Unternehmens mit und bringt regelmäßig zeitgenössische Kunst in den Unternehmensalltag – durch Ausstellungen, Künstlergespräche und Vermittlungsformate an allen deutschen Standorten. Ihr Ziel: Kunst als Impuls für Austausch, Perspektivwechsel und kulturelle Öffnung im Arbeitsumfeld sichtbar und erlebbar zu machen. Weitere Informationen: https://www.linkedin.com/in/julia-wedlich-68819326a/
Berthold Pott ist Galerist mit Sitz in Köln und Mitglied der New Art Dealers Alliance (NADA). In seiner Galerie vertritt er internationale Positionen zeitgenössischer Kunst und engagiert sich für den Dialog zwischen Kunst und Gesellschaft. Mit seiner Erfahrung bringt er regelmäßig Künstler mit Unternehmen ins Gespräch und ist überzeugt, dass Kunst nicht nur inspiriert, sondern auch Wandel anstoßen kann. Weitere Informationen: https://bertholdpott.com/
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