Auf dem Work Culture Festival 2024 sprach Zukunftsforscher und Mobilitätsexperte Stefan Carsten über die zunehmende Verschmelzung von Arbeit, Freizeit und Mobilität. Unter dem Begriff „Metamobility“ skizzierte er, wie digitale und physische Räume immer stärker ineinandergreifen und welchen Einfluss diese Entwicklung auf unsere Arbeits- und Lebenswelt haben wird. Moderiert wurde der Vortrag von Michael Trautmann, Co-Host des Podcasts „On the Way to New Work“.
Virtuelle Realitäten und die Veränderung des Raums
Stefan Carsten begann seinen Vortrag mit einem Beispiel aus Zürich, das die zunehmende Vermischung von digitaler und physischer Welt verdeutlichte. Dort sorgte ein rein virtuelles Immobilienprojekt – ein nicht existierendes Hochhaus – für Diskussionen unter den Anwohnern. Sie äußerten Bedenken über mögliche Auswirkungen wie zusätzliches Verkehrsaufkommen oder veränderten Lichteinfall, obwohl das Gebäude nur in der digitalen Welt existierte. Dieses Beispiel zeigt, wie virtuelle Räume unsere Wahrnehmung beeinflussen und neue Anforderungen an Städte und Mobilitätskonzepte stellen. Die Konsequenzen für den urbanen Raum und die Mobilität sind weitreichend. Carsten wies darauf hin, dass sich bereits heute viele Menschen weniger im öffentlichen Raum bewegen. Eine Studie von Telefónica habe ergeben, dass die Mobilität insgesamt abnimmt – die Menschen verbringen immer mehr Zeit in geschlossenen Räumen, während Dienstleistungen und Waren direkt nach Hause geliefert werden. „Wir sitzen, bewegen uns weniger und vereinsamen“, beschrieb Carsten die gesellschaftlichen Folgen dieser Entwicklung.
Neue Mobilitätskonzepte und ihre Herausforderungen
Die Transformation des öffentlichen Raums bringt nicht nur Probleme, sondern auch Chancen mit sich. Carsten betonte die Bedeutung neuer Mobilitätskonzepte wie des autonomen Fahrens. Während sich Deutschland in regulatorischen Details verliere, setze China bereits auf Städte ohne Straßen und Autos. In Singapur würden Parkplätze konsequent umgewidmet, um den öffentlichen Raum neu zu gestalten. Ein zentrales Problem sieht Carsten in der deutschen Verkehrsinfrastruktur: „Wir geben 30.000 bis 50.000 Euro für einen Fahrkartenautomaten aus, aber das ist nicht, was die Menschen brauchen. Sie wollen eine nahtlose, einfache Mobilitätslösung.“ Statt starre Systeme zu bewahren, müsse sich der ÖPNV stärker an den Bedürfnissen der Nutzer orientieren und flexibel reagieren. Als positives Beispiel für innovative Mobilitätslösungen in Deutschland nannte Carsten das Cluster Nürnberg-Erlangen. Dort wird bereits an vernetzten Mobilitätsangeboten gearbeitet, die verschiedene Verkehrsmittel – vom ÖPNV über Carsharing bis hin zu On-Demand-Diensten – miteinander kombinieren. Unternehmen in der Region setzen zunehmend auf flexible Mobilitätsmodelle, um ihren Mitarbeitern einen effizienteren und nachhaltigeren Arbeitsweg zu ermöglichen. Carsten betonte, dass solche Ansätze Vorbildcharakter haben und den Wandel hin zu einer nutzerfreundlicheren Verkehrsinfrastruktur unterstützen können.
Die Zukunft des Büros: Flexibilität und neue Raumkonzepte
Neben der Mobilität stand die Arbeitswelt im Fokus. Carsten kritisierte das Homeoffice als langfristig problematisch: Studien belegen, dass es Menschen isoliert, kreatives Arbeiten erschwert und sogar gesundheitliche Nachteile mit sich bringt. Dennoch hält er nichts von einer Rückkehr zu klassischen Bürostrukturen. Stattdessen plädierte er für hybride Modelle mit flexiblen Arbeitsplätzen, die sowohl kollaboratives als auch individuelles Arbeiten ermöglichen.
„Ein Büro sollte halb so groß und doppelt so attraktiv sein“, formulierte Carsten seine Vision für moderne Arbeitsumgebungen. Besonders wichtig sei, dass Unternehmen Räume schaffen, die zufällige Begegnungen fördern – ähnlich dem Küchenkabinett, einem informellen Treffpunkt, den er aus seiner Zeit bei Daimler kennt. Dort entstünden die besten Ideen und innovative Konzepte. Doch nicht nur Orte der Begegnung seien wichtig, sondern auch Flexibilität und entsprechende Raumstrukturen. Statt an festen Arbeitsplätzen zu arbeiten, könnten Mitarbeiter je nach Aufgabe zwischen offenen Kollaborationsbereichen, Ruhezonen oder Co-Working-Spaces wählen. Das fördere nicht nur die Produktivität, sondern auch die Kreativität und den sozialen Austausch. Darüber hinaus verwies Carsten auf Unternehmen, die bereits neue Arbeitsumgebungen schaffen, indem sie klassische Büroflächen mit öffentlichen Räumen verbinden. Ein Beispiel dafür ist der Metro Campus in Düsseldorf, wo neben Büroflächen auch Wohn‑, Gastronomie- und Freizeitangebote entstehen. Ziel ist es, Arbeitsorte attraktiver zu gestalten und den Mitarbeitern ein Umfeld zu bieten, in dem sich Beruf und Privatleben besser vereinbaren lassen.
Städte im Wandel: Was wir von Kopenhagen und Paris lernen können
Als Vorbilder für eine gelungene Transformation nannte Carsten Städte wie Kopenhagen und Paris. In Paris etwa sei der Autoverkehr innerhalb von zehn Jahren drastisch reduziert worden, was nicht nur die Lebensqualität verbessert, sondern auch die Wirtschaftskraft der Stadt deutlich gesteigert habe. „Je mehr Radfahrer eine Stadt hat, desto wohlhabender ist sie“, sagte Carsten. Diese Erkenntnis sei in Deutschland aber noch nicht angekommen. Auch Kopenhagen habe durch eine konsequente Stadtplanung bewiesen, dass sich weniger Autoverkehr positiv auf das städtische Leben auswirke. Die dänische Hauptstadt setzt seit Jahren auf eine umfassende Fahrradinfrastruktur und gestaltet ihre Straßen so, dass Fußgänger und Radfahrer Vorrang haben. Das Ergebnis sei eine höhere Lebensqualität und ein attraktiverer Wirtschaftsstandort. In deutschen Städten fehle dagegen oft noch der politische Wille, mutige Veränderungen umzusetzen. Für mittelgroße Städte, die mit leeren Innenstädten und ungenutzten Büroflächen zu kämpfen haben, empfahl Carsten eine radikale Umgestaltung des öffentlichen Raums. „Mehr Aufenthaltsqualität, weniger Parkplätze – das ist der Schlüssel zur Belebung der Innenstädte.“ Statt auf immer mehr Parkplätze sollten die Städte verstärkt auf Grünflächen, breite Fußwege und eine bessere Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr setzen.
Drei Schritte zur Transformation
Abschließend formulierte Carsten drei zentrale Empfehlungen für Unternehmen und Stadtplaner:
- Mobilität als strategische Ressource begreifen: Unternehmen sollten nicht nur ihre Bürokonzepte überdenken, sondern auch ihre Erreichbarkeit für Mitarbeiter verbessern.
- In Kommunikation investieren: Erfolgreiche Arbeitsmodelle basieren nicht auf starren Strukturen, sondern auf gut durchdachten Kommunikationswegen – ob digital oder vor Ort.
- Öffentlichen Raum neu gestalten: Städte müssen sich von alten Konzepten lösen und Aufenthaltsqualität statt Verkehrsflächen in den Mittelpunkt stellen.
Sein Fazit: „Wir brauchen ein Gegenmodell zur digitalen Isolation – mit lebendigen, vielseitig nutzbaren Räumen für Arbeit, Freizeit und Begegnung.“
Work Culture Festival Impressionen

Stefan Carsten ist Zukunftsforscher und Mobilitätsexperte. Er war Projektleiter in der Zukunfts- und Umfeldforschung der Daimler AG in Berlin und an der Entwicklung neuer Mobilitätsdienste wie car2go und moovel beteiligt. Zurzeit ist er unter anderem als Berater für das Bundesverkehrsministerium im Bereich „Strategische Leitlinien des ÖPNV in Deutschland“ sowie für die IAA Mobility in München und das Reallabor Radbahn in Berlin tätig. Darüber hinaus ist er Mitglied im Gestaltungsbeirat der HOWOGE Berlin. Seit 2019 gibt er gemeinsam mit dem Zukunftsinstitut den jährlichen Mobility Report heraus. Mehr Informationen: stefancarsten.net
Titelbild: ©Leading Minds