Die Arbeitswelt befindet sich in einem tiefgreifenden Wandel. Technologische Innovationen, der demografische Wandel und geopolitische Unsicherheiten verändern den globalen Wettbewerb. In Europa spitzt sich der Fachkräftemangel zu, während die Bildungssysteme vielfach noch auf Modelle des 20. Jahrhunderts setzen. Gleichzeitig ist der Zugang zu Bildung in Deutschland nach wie vor stark von der sozialen Herkunft abhängig. Vor diesem Hintergrund gewinnen sogenannte Future Skills, zukunftsweisende Schlüsselkompetenzen, zunehmend an Bedeutung.
Auf dem Work Culture Festival diskutierten der Musiker und Bildungsaktivist Fetsum Sebhat, der Bildungsunternehmer Teddy Tewelde und der Wirtschaftsjournalist Thorsten Giersch über die Frage, welche Veränderungen in den Bereichen Bildung und Arbeit notwendig sind, um gesellschaftliche Teilhabe zu sichern und die Innovationsfähigkeit zu stärken. Dabei wurde deutlich: Zukunftskompetenz beginnt nicht an der Universität, sondern in der Schule – und manchmal sogar schon davor.
Vom Festival zur Bildungsbewegung
Seit über einem Jahrzehnt engagieren sich Fetsum Sebhat und Teddy Tewelde mit der PxP Embassy und der Future Skills Association für Bildungs- und Chancengerechtigkeit. Auslöser für ihre Arbeit waren Bilder flüchtender Kinder im Mittelmeer, die sie veranlassten, das „Peace by Peace“-Festival zu gründen. Dieses lockte 2016 über 20.000 Menschen in die Berliner Waldbühne. Mit den Erlösen wurden zunächst Nothilfeprojekte unterstützt, später wurde der Fokus jedoch auf Bildung gelegt. „Wir wollten nicht nur den Tropfen auf den heißen Stein geben, sondern nachhaltige Veränderung schaffen“, so Sebhat. Im Mittelpunkt stand dabei stets die Frage: „Wie kann Bildung jungen Menschen ermöglichen, ihre Zukunft aktiv zu gestalten, unabhängig von ihrer sozialen Herkunft?“
Future Skills: Schlüsselkompetenzen für Gegenwart und Zukunft
Für Sebhat und Tewelde sind Future Skills weit mehr als ein pädagogisches Konzept – sie sind eine wirtschaftliche Notwendigkeit. Kreativität, Kommunikation, Kollaboration und kritisches Denken – die sogenannten 4Ks – gelten international als Schlüsselqualifikationen in einer sich durch Digitalisierung, Automatisierung und Fachkräftemangel rasant verändernden Arbeitswelt. „Diese vier Fähigkeiten bilden die Grundlage, um mit einer sich wandelnden Welt umgehen zu können“, erklärt Tewelde. Unternehmen suchen heute verstärkt nach Persönlichkeiten, die lösungsorientiert denken, teamfähig sind und sich schnell an neue Anforderungen anpassen können. Fähigkeiten, die in klassischen Schulfächern kaum vermittelt werden. In dem von ihm entwickelten Schulfach „Future Skills“ vermittelt Tewelde diese Kompetenzen praxisnah. Die Jugendlichen arbeiten in Projekten an realen Aufgaben, entwickeln eigene Ideen und wenden digitale Tools an – für viele der erste Kontakt mit der Arbeitswelt. Das stärkt ihre Eigenverantwortung und biete eine erste berufliche Orientierung. Oft ist es auch der erste Moment, in dem sie erleben, dass Lernen sinnstiftend sein kann, und sie sich als selbstwirksam erfahren. „Future Skills“ schließt damit eine Lücke zwischen schulischer Bildung und wirtschaftlichen Anforderungen und bietet die Chance, das Potenzial junger Menschen gezielt zu fördern.
Bildung neu denken – aber wie?
Die Diskussion machte deutlich: Die traditionellen Bildungsstrukturen erschweren es, solche Formate flächendeckend zu etablieren. Das deutsche Schulsystem sei vielfach noch immer stark auf Frontalunterricht, Wissensreproduktion und Notenfixierung ausgerichtet. „Wir lernen für Prüfungen, aber nicht fürs Leben“, so Sebhat. Dabei zeigen viele Projekte, dass junge Menschen besonders dann motiviert lernen, wenn sie den Sinn ihrer Tätigkeit erkennen. Ein Beispiel: Im Rahmen eines Unterrichtsprojekts von Tewelde entwickelten Jugendliche einen Stadtteil-Reiseführer für Gleichaltrige, der Interviews, Fotos, redaktionelle Texte und ein Layout enthielt. So wurden Recherche, Urheberrecht, Textarbeit und Teamarbeit nicht nur theoretisch behandelt, sondern praktisch erlebt. In einem anderen Projekt lernten Schüler unter der Begleitung von professionellen Medienexperten, mit Augmented Reality eigene 3D-Videos zu produzieren. „Was wir erleben: Wenn Kinder den Nutzen ihres Lernens erkennen, blühen sie auf“, sagt Tewelde. „Plötzlich wird Mathe wichtig, weil es ihnen hilft, ihren Film zu schneiden oder eine App zu entwickeln.“
Chancengerechtigkeit als Basis für Innovationskraft
Gleichzeitig plädierten Sebhat und Tewelde für einen stärkeren Fokus auf Bildungsgerechtigkeit. Es sei ein strukturelles Problem, dass Kindern aus wirtschaftlich schwächeren Haushalten trotz formaler Gleichheit im Zugang deutlich geringere Bildungschancen zuteilwürden. Moderator Thorsten Giersch betonte, dass diese soziale Schieflage auch wirtschaftliche Konsequenzen habe: „Mindestens 2,5 Millionen Menschen in Deutschland haben keinen Berufsabschluss – ein immenses, ungenutztes Potenzial.“ Hier setzen Initiativen wie die Future Skills Alliance an. Über 160 Organisationen haben sich zusammengeschlossen, um gemeinsam Modelle für ein zukunftsfähiges Bildungssystem zu entwickeln. Dazu gehören Start-ups, Bildungsstiftungen, Unternehmen und Schulen. Ziel ist es, neue Lernformate zu entwickeln, Ressourcen zu teilen und innovative Ansätze in den Regelbetrieb zu überführen.
Weg von der Einzelverantwortung, hin zur kollektiven Wirkung
Für Sebhat ist klar: „Wir dürfen die Verantwortung nicht allein bei Lehrern oder Eltern abladen.“ Es brauche stattdessen ein systemisches Umdenken und die Bereitschaft aller Akteure, Bildung als gesamtgesellschaftliche Aufgabe zu verstehen. Unternehmen könnten beispielsweise ihre Expertise einbringen, um Berufe der Zukunft erlebbar zu machen. Schulen wiederum könnten ihre Räume für externe Bildungsformate wie „Future Skills“ öffnen. „Die Jugendlichen sind nicht das Problem, sie sind Teil der Lösung“, so Sebhat. Oftmals brauche es nur eine einzige Person, die an sie glaubt, damit sie ihr Potenzial entfalten können. Die Geschichte eines Schülers, der nach einem Projekt von Teddy Tewelde und Fetsum Sebhat nicht nur seine Noten verbesserte, sondern später Abitur und Ausbildung gleichzeitig absolvierte, steht sinnbildlich für diesen Ansatz.
Die Zukunft beginnt im Klassenzimmer
Die Gesprächsrunde machte deutlich, dass Future Skills für die Teilhabe aller unerlässlich sind. Damit die Welt von morgen gestaltet werden kann, müssen Kompetenzen wie Kreativität, kritisches Denken und digitale Souveränität frühzeitig und für alle zugänglich vermittelt werden. Denn die Zeit drängt. Der Arbeitsmarkt verändert sich und wer nicht vorbereitet ist, bleibt zurück. Future Skills sind somit ein Schlüssel für beruflichen Erfolg und gesellschaftlichen Zusammenhalt. Und sie beginnen mit einem einfachen Satz: „Ich glaube an dich.“