Auf dem Work Culture Festival sprach der Architekt und Unternehmer Remi Versteeg über die Zukunft des Arbeitsplatzes und stellte die Frage, inwieweit sich Bürokonzepte im Laufe der Zeit wirklich verändert haben. Sein Fazit: Die Grundfunktionen eines Büros bleiben bestehen, jedoch die Art und Weise, wie Identität in die Arbeitsumgebung integriert wird, gewinnt an Bedeutung.
Die Entwicklung des Arbeitsplatzes
Versteeg eröffnete seinen Vortrag mit einem historischen Rückblick auf die Geschichte der Bürostrukturen. Von den großen lichtdurchfluteten Fabrikhallen des frühen 20. Jahrhunderts bis zu den berüchtigten „Cubicle Farms“ der 1970er-Jahre haben sich Büroräume immer wieder neuen Anforderungen angepasst. Doch obwohl moderne Arbeitskonzepte flexible Raumaufteilungen und offene Kommunikationsstrukturen forcieren, bleibt ein Grundproblem bestehen: die Balance zwischen konzentriertem Arbeiten und interaktiver Zusammenarbeit.
Zwischen Standardisierung und Individualität
Versteeg argumentierte, dass sich viele Unternehmen zu sehr an standardisierten Bürokonzepten orientieren, anstatt ihre eigene Identität im Raum sichtbar zu machen. Zwar folgten moderne Arbeitswelten meist einer bestimmten funktionalen Grundstruktur – mit offenen Arbeitsbereichen, separaten Besprechungsräumen und Kommunikationszonen –, doch fehle oft eine individuelle Note, die die Werte und die Kultur des Unternehmens widerspiegele. Dabei sei es nicht zielführend, einfach die Unternehmensfarben an die Wände zu bringen oder Logos prominent zu platzieren. Vielmehr gehe es darum, eine visuelle und räumliche Sprache zu entwickeln, die die Identität des Unternehmens subtil transportiert und den Mitarbeitern ein Zugehörigkeitsgefühl vermittelt.
Beispiele aus der Praxis: Identitätsstiftende Büros
Um seine Thesen zu untermauern, stellte Versteeg einige seiner eigenen Projekte vor, bei denen die Unternehmensidentität erfolgreich in die Büroumgebung integriert wurde.
- Umgestaltung einer Lagerhalle in ein modernes Bürogebäude für ein Technologieunternehmen: Hier wurde mit natürlichen Materialien, offenen Raumstrukturen und flexiblen Arbeitsbereichen gearbeitet. Eine Besonderheit ist die Verbindung von alten Industrieelementen mit modernen Gestaltungselementen, wodurch eine inspirierende Atmosphäre geschaffen wurde, die sowohl die Innovationskraft als auch die Wurzeln des Unternehmens widerspiegelt.
- Ein weiteres Projekt war DAS DESIGN eines biophilen Büros, in dem Pflanzen und natürliche Lichtquellen bewusst in die Arbeitswelt integriert wurden. Dabei wurden nicht nur nachhaltige Materialien verwendet, sondern auch spezielle Rückzugsorte für konzentriertes Arbeiten geschaffen. Diese Umgebung soll dazu beitragen, dass sich die Mitarbeiter wohlfühlen und ihre Produktivität steigern.
- Gestaltung des Hauptsitzes eines Möbelherstellers: Versteeg und sein Team brachten die Identität des Unternehmens durch den Einsatz von textilen Elementen und flexiblen Möbelkonzepten zum Ausdruck. Der Raum wurde bewusst so gestaltet, dass er sich wechselnden Bedürfnissen anpassen kann, ohne seine gestalterische Klarheit zu verlieren.
Einfluss der Gestaltung auf Produktivität und Wohlbefinden
Neben der Identität eines Arbeitsplatzes ist auch seine atmosphärische Qualität entscheidend für Wohlbefinden und Produktivität. Versteeg machte deutlich, dass Faktoren wie Licht, Akustik und Materialität einen großen Einfluss darauf haben, wie angenehm und funktional eine Arbeitsumgebung empfunden wird. Gutes Bürodesign sollte daher nicht nur gut aussehen, sondern auch die Arbeitsleistung unterstützen. Dazu gehören akustisch optimierte Arbeitsräume, ausreichend Tageslicht und eine angenehme Material- und Farbgestaltung. Gleichzeitig sollte die Gestaltung nicht überladen sein, sondern den Mitarbeitern ausreichend Ruhezonen bieten, in denen sie konzentriert arbeiten können.
Trennung von Arbeit und Freizeit
Ein weiterer Aspekt, den Versteeg hervorhob, war die klare Trennung von Arbeit und Freizeit. Viele moderne Bürokonzepte vermischen die verschiedenen Lebensbereiche, indem sie Fitnessräume, Spielzonen oder Café-Atmosphäre integrieren. Versteeg warf die Frage auf, ob diese Ansätze wirklich produktivitätsfördernd seien oder die Mitarbeiter eher ablenkten. Seiner Meinung nach sollten Büros in erster Linie Orte sein, an denen Menschen effizient arbeiten können. Zwar könnten Räume auch inspirierend wirken, der Fokus sollte aber auf der Unterstützung der Arbeitsprozesse liegen. Ein überladenes Büro mit zu vielen Erlebniswelten könne dazu führen, dass Mitarbeiter sich schlechter konzentrieren können und ihre Aufgaben weniger effizient erledigen. Studien zeigen zudem, dass eine starke Vermischung von Arbeits- und Freizeitelementen („Work-Life-Blurring“) langfristig zu Stress führen kann. Wenn Mitarbeiter ständig von Ablenkungen umgeben sind oder sich verpflichtet fühlen, auch in informellen Bereichen an Arbeitsgesprächen teilzunehmen, kann dies ihre mentale Erholung beeinträchtigen. Als Alternative empfahl Versteeg eine klare räumliche Trennung: Arbeitsbereiche sollten funktional und auf Produktivität ausgerichtet sein, während Erholungszonen gezielt für Pausen genutzt werden können, ohne dass sich beide Bereiche zu stark überschneiden und die Grenzen zwischen Arbeit und Privatleben verwischen.
Flexibilität als Schlüssel zum idealen Arbeitsplatz
Auch die Flexibilität von Arbeitsräumen war ein zentrales Thema des Vortrags. Versteeg betonte, dass Menschen sich ständig an ihre Umgebung anpassen und unterschiedliche Bedürfnisse haben – je nach Tageszeit, Arbeitsaufgabe oder Stimmung. Ein statisches Büro, das jeden Tag gleich aussieht und funktioniert, wird diesen dynamischen Anforderungen nicht gerecht. Moderne Arbeitsplätze sollten daher Möglichkeiten zur individuellen Anpassung bieten. Dazu gehöre nicht nur die Wahl zwischen verschiedenen Arbeitszonen, sondern auch die Möglichkeit, einzelne Elemente der Raumgestaltung flexibel zu verändern, also: modulare Möbel, höhenverstellbare Schreibtische, mobile Trennwände und intelligente Beleuchtungssysteme, die sich an unterschiedliche Tageszeiten und Aufgaben anpassen. Besonders wichtig sei die Gestaltung multifunktionaler Räume, die sowohl für konzentrierte Einzelarbeit als auch für kreative Teamarbeit genutzt werden können. Diese Flexibilität, so Versteeg, geht jedoch über die rein physische Gestaltung hinaus. Unternehmen, die ihren Mitarbeitern jedoch die Freiheit geben, ihre Arbeitsumgebung aktiv mitzugestalten, würden nicht nur das Wohlbefinden, sondern auch die Identifikation mit dem Unternehmen stärken.
Remi Versteeg ist Architekt und Unternehmer mit Schwerpunkt auf innovativer Gestaltung. Nach seinem Architekturstudium an der Technischen Universität Delft gründete er 2016 das Architekturbüro Space Encounters mit und rief 2021 Beyond Space ins Leben. Sein interdisziplinärer Ansatz verbindet Architektur mit Kunst und Produktentwicklung und erforscht neue Verbindungen zwischen verschiedenen Disziplinen. Versteeg ist davon überzeugt, dass architektonisches Denken weit über die räumliche Gestaltung hinausgeht und von einem kreativen, kollaborativen Prozess geprägt ist. Mehr Informationen: beyond-space.eu
Titelbild: @ IBA