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Die Macht der Daten oder wie KI die Arbeitsplatzgestaltung verändert: Interview mit Ulrich Blum

Work Culture Festival

Ulrich Blum, Architekt für Arbeitsplatzgestaltung
IBA Redaktionsteam IBA Redaktionsteam ·
12 Minuten

Der Architekt für Arbeitsplatzgestaltung Ulrich Blum tritt am 24. Oktober 2024 als Speaker beim Work Culture Festival zum Thema „The Power of Data: How AI Transforms Workplace Design“ auf. Die IBA Forum Redaktion sprach mit ihm über die Zukunft von Arbeitsumgebungen, die Rolle der Architektur in einer zunehmend von KI geprägten Welt sowie die Bedeutung von Datenanalyse und Vernetzung für den Unternehmenserfolg.

Sie sind Professor für Digitales Entwerfen an der Münster School of Architecture. Was genau lehren Sie dort?

Ich beschäftige mich vor allem mit der Digitalisierung im Bauwesen. Architekten tun sich traditionell schwer mit neuen Technologien, in Deutschland sind sie oft zurückhaltend. Gleichzeitig gibt es viele neue technologische Entwicklungen, vor allem im Bereich der Künstlichen Intelligenz. Meine Schwerpunkte sind der 3‑D-Druck im Bauwesen und die Evolution des Raums mithilfe von Daten. Beispielsweise lassen sich Bürogebäude verbessern, indem man Nutzererfahrungen auswertet und so einen architektonischen Dialog mit den Mitarbeitern führt. Architekten müssen lernen, künftig mehr in Systemen und Netzwerken zu denken, anstatt nur einzelne Objekte zu entwerfen. Ich bringe den Studierenden bei, Entwurfsprozesse anders zu gestalten und die digitalen Möglichkeiten zu schätzen. Vom ersten Semester an lernen sie den Umgang mit digitalen Werkzeugen, den 3‑D-Druck und alle notwendigen Schritte – von der Modellierung der Form bis zur Vorbereitung für den Druck. Junge Architekten müssen die neuen Technologien in die Büros tragen. Deshalb müssen wir sie so ausbilden, dass sie in den neuen Bereichen mehr können als diejenigen, die bereits in der Praxis arbeiten. Das ist eine große Chance für junge Studierende.

Was sind für Sie die wichtigsten Trends in der Arbeitsplatzgestaltung und wie haben sich diese Trends auf Ihre Arbeit ausgewirkt?

Flexiblere Arbeitsweisen durch Digitalisierung und Hybrid Work führen dazu, dass wir uns seltener im Büro treffen, was Netzwerke schwächt. Ein weiterer wichtiger Trend ist der Einsatz von KI, die unsere Arbeitsweise grundlegend verändert und neue Möglichkeiten für bessere und effizientere Ergebnisse bietet. KI kann eine Inspirationsquelle für Architekten sein, bringt aber auch neue Anforderungen mit sich. Ein weiterer Trend ist die steigende Erwartung der Mitarbeiter nach mehr Autonomie am Arbeitsplatz im Büro. Wie im Homeoffice wollen sie selbst entscheiden, wo sie arbeiten und ihre Umgebung anpassen. Zu Hause kann man zum Beispiel einfach ein Fenster öffnen, wenn einem danach ist. In vielen Büros wird die Temperatur zentral gesteuert und es fehlt die Möglichkeit der Individualisierung. Das heißt, Architekten und Planer müssen dafür sorgen, dass Büroarbeitsplätze individuell konfigurierbar sind und eine wohnliche Atmosphäre bieten. Und auch hier glaube ich, dass wir viel mehr darauf hören müssen, was die Menschen von ihrer Arbeitsumgebung erwarten, sonst kommen sie nicht ins Büro. Wir beobachten auch, dass viele Menschen nur noch von Dienstag bis Donnerstag ins Büro gehen und damit die Auslastung der Bürogebäude sinkt. Hier müssen wir als Architekten Lösungen finden, um Gebäude zu schaffen, die für unterschiedliche Nutzungszeiten flexibel und attraktiv sind. Gerade in diesem Bereich gibt es noch viel zu tun.

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Vortrag von Ulrich Blum am 24. Oktober von 14.45 bis 15.30 Uhr Vortrag „The Power of Data: How AI Transforms Workplace Design“. Jetzt einen Blick ins Programm werfen und Ticket sichern!

Immer häufiger ist von vernetzten Arbeitswelten die Rede. Was ist damit gemeint?

Hybrides Arbeiten ist viel schwieriger als reines Online-Arbeiten. Zum einen müssen die Gebäude dafür technisch viel besser ausgestattet sein, um die Arbeitsqualität zu erhöhen. Für mich geht es aber noch viel weiter. Ich glaube, wir sind an einem Punkt angelangt, an dem wir mehr virtuell arbeiten werden. Es gibt ja schon Beispiele, wie solche Meetings dann räumlich so stattfinden, dass alle Beteiligten immersiv in einem Raum sind, was sie jetzt im Moment nicht sind: die einen sind am Flatscreen, die anderen zusammen im Raum. Ich glaube, da gibt es auch einen großen Bedarf, Lösungen zu finden. Die Schnittstellen im Übergang zur virtuellen Arbeitswelt müssen verbessert werden, das ist eine spannende Aufgabe.

Sie haben vor Kurzem gesagt: „Wir erhalten Superpowers, allerdings nutzen viele Architekten diese leider gar nicht.“ Was genau meinen Sie damit?

Ich habe schon vor dem Aufkommen von KI und anderen Computertechnologien von Superpowers gesprochen. Bei Zaha Hadid Architects haben talentierte Kollegen bereits vor Jahren Algorithmen entwickelt und Computerprogramme eingesetzt, die in der Architektur sonst nicht verwendet wurden, um Dinge zu tun, die vorher unmöglich waren. Ich bin immer wieder erstaunt, auf welch hohem Niveau sie mit diesen Algorithmen arbeiten. Die Effizienz, die durch die Automatisierung vieler Prozesse erreicht wird, ist beeindruckend. Wir haben heute Tools, mit denen wir Prozesse schnell visualisieren und komplexe Geometrien erzeugen können. Diese Fähigkeiten sind wie Superpowers. Auch KI ist für mich eine solche Superpower. Sie ist zwar noch nicht allumfassend, kann aber in bestimmten Bereichen enorm viel leisten. KI hilft uns, Dinge anders, besser und schneller zu machen. Wir müssen nur lernen, effektiv mit dieser Technologie zu kommunizieren. Ich sehe, dass einige meiner Kollegen und viele meiner Studierenden diese technologischen Möglichkeiten bereits nutzen. Einige trainieren KI, um bestimmte Ziele zu erreichen, und schaffen damit Dinge, die ohne diese Technologie nicht möglich wären. Das sind die Superpowers, von denen ich spreche.

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Wie setzen Sie und Ihr Team Künstliche Intelligenz ein, um Arbeitsumgebungen zu gestalten?

Wir nutzen Technologien, die mithilfe von Algorithmen Raumqualitäten berechnen. Damit können wir das Verhalten von Menschen für eine neu geplante Stadt oder ein neu geplantes Büro besser verstehen. Ein Kollege hat ein Spiel programmiert, das menschliches Verhalten in einer urbanen Umgebung analysiert, um die KI zu trainieren. So können wir sehen, wie Formen und Perspektiven Entscheidungen beeinflussen. Mit KI berechnen wir die besten Positionen im Raum, erstellen Heatmaps und messen die Entfernungen zwischen den Arbeitsplätzen. So können wir viele Aspekte des Raums optimieren, bevor er gebaut wird. Andere Techniken erlauben uns, Lichtqualität, Ausblicke und Sichtbeziehungen zu analysieren, was von Bauherren sehr geschätzt wird. Unsere Designs entstehen aus Ideen, die über Wochen optimiert, mit Algorithmen überprüft und dann verbessert werden. Und am Ende treffen wir Entscheidungen, die besser sind als unsere Intuition. Wir nennen das Evidence-Based Design, also das Antreten einer gewissen Beweisführung, weil man genau weiß, wie der Schattenwurf eines Gebäudes ist, wo das Licht einfällt und so weiter. Das heißt, wir greifen auf fundierte Daten zurück, anstatt nur aus dem Bauch heraus zu entscheiden. Intuition ist natürlich gut und wichtig, aber wir haben heute andere Möglichkeiten und die sollten wir auch nutzen.

Mitarbeiter haben unterschiedliche Bedürfnisse oder Präferenzen in Bezug auf ihre Arbeitsumgebung. Wie lässt sich hier KI nutzen, um individuelle Bedürfnisse oder Präferenzen besser zu verstehen oder in die Gestaltung zu integrieren?

Durch Befragungen ein Gefühl für die Bedürfnisse der Mitarbeiter zu bekommen und feedbackbasiert Arbeitsumgebungen zu verbessern, ist bereits heute gängige Praxis. KI kann jedoch noch einen Schritt weiter gehen, indem sie Büros kartografiert und Parameter wie Helligkeit, Akustik und Temperatur visualisiert. Anhand dieser Parameter könnte die KI dann den optimalen Arbeitsplatz vorschlagen, angepasst an die individuellen Bedürfnisse, ohne diese vorzuschreiben. Wir arbeiten daran, dass die KI lernt, was der Einzelne bevorzugt, ähnlich wie Netflix Filme vorschlägt. Diese Erkenntnisse können genutzt werden, um Arbeitsumgebungen zu optimieren und kontinuierlich zu verbessern. Das Ziel ist ein selbstlernendes Büro, das sich ständig weiterentwickelt und den Mitarbeitern die bestmögliche Umgebung bietet. Das Feedback der Mitarbeiter ist dabei ebenso wichtig wie ein strukturiertes Zuhören, bei dem Algorithmen auswerten, wie Menschen ihre Umgebung bewerten, und daraus vorhersagen, wie diese verbessert werden sollte. Wir stehen erst am Anfang dieser Entwicklung, aber es ist eine spannende Aufgabe für die nächsten Jahre.

Wie lassen sich unterschiedliche Arbeitsstile und Generationen in modernen Arbeitsumgebungen schon während der Planung von Bürogebäuden berücksichtigen? Die Generationen Z und Alpha haben ja ganz andere Anforderungen an die Arbeitskultur und die Arbeitsumgebung als frühere Generationen?

Wir beobachten, dass Arbeitgeber zunehmend erkennen, dass sie keine jungen Talente anziehen können, wenn sie weiterhin auf traditionelle Bürokonzepte wie Zellenbüros oder lange Korridore mit Einzelbüros setzen. Junge Menschen haben durch die sozialen Medien eine klare Vorstellung davon, wie ein attraktives Arbeitsumfeld aussehen sollte, und sie erwarten diese Standards auch in ihrer eigenen Arbeitswelt. Clevere Arbeitgeber passen ihre Büros entsprechend an und nutzen dies als wichtigen Teil ihres Employer Brandings. Sie gestalten großzügige, vielfältig nutzbare Flächen mit Erlebniswelten und attraktiven Besprechungsräumen. Eine der größten Aufgaben ist es, diese Vielfalt und Flexibilität auch in bestehende Bürostrukturen zu implementieren. Hier sind kreative architektonische Lösungen und neue Denkansätze gefragt.

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Sie sprechen von der Bedeutung flexibler und anpassungsfähiger Arbeitsumgebungen. Wie setzen Sie das in Ihren Projekten um und welche Aufgaben stellen sich dabei?

In unseren Projekten legen wir großen Wert auf offene Flächen mit wenigen Stützen und möglichst wenig Brandschutzkorridoren, um vielfältige Nutzungsmöglichkeiten zu schaffen. Unsere Vision ist es, modularer und flexibler zu bauen, damit Räume schnell an sich ändernde Bedürfnisse angepasst werden können. Ein Beispiel dafür sind Besprechungsräume, die nicht mehr aus festen Gipskartonwänden bestehen, sondern aus flexiblen Modulen, die leicht verschoben werden können. Diese Ansätze bieten bereits viel mehr Flexibilität. Für die Zukunft wünsche ich mir, dass solche Anpassungen quasi automatisch erfolgen. Wenn zum Beispiel ein Algorithmus erkennt, dass es zu wenig Besprechungsmöglichkeiten gibt, könnte ein Gebäudeplaner automatisch reagieren und entsprechende Änderungen vornehmen.

Sehen Sie Unterschiede in der Arbeitsplatzgestaltung in verschiedenen kulturellen oder regionalen Kontexten? Wie berücksichtigen Sie diese Unterschiede in Ihren internationalen Projekten?

Das Spannende an internationalen Projekten ist, dass man aus seiner eigenen Bubble herauskommt und eine andere Sicht auf die Dinge kennenlernt. Diese kulturellen und regionalen Unterschiede bieten viel Lernpotenzial und führen zu unterschiedlichen Herangehensweisen bei der Arbeitsplatzgestaltung. In Deutschland sind wir oft in unserer Art, Dinge zu tun, gefangen. Lange Zeit haben wir geglaubt, wir wüssten alles besser, aber Probleme mit Großprojekten wie Flughäfen haben gezeigt, dass dem nicht so ist. Hierzulande fehlt manchmal der Mut, Dinge anzupacken und aus den DIN-Normen auszubrechen, um neue Lösungen zu finden. In anderen Ländern erlebe ich dagegen oft eine Aufbruchstimmung und eine „Lasst uns das machen“-Mentalität. Diese Unterschiede berücksichtigen wir in unseren Projekten, indem wir die positiven Ansätze aus verschiedenen Kulturen reflektieren und integrieren. So schaffen wir eine Balance zwischen bewährten Methoden und innovativen Ansätzen, um Arbeitsumgebungen zu gestalten, die den regionalen Anforderungen gerecht werden.

Wenn Sie eine ideale Arbeitsumgebung entwerfen könnten, wie würde sie aussehen und welche Elemente wären unverzichtbar?

Die ideale Arbeitsumgebung ist für mich eine Art Community, ähnlich einer Stadt oder einem Dorf, wo Gemeinschaft großgeschrieben wird. Es gäbe zentrale Bereiche wie einen Marktplatz, an dem die Menschen zusammenkommen, und Rückzugsorte, die klar als private Bereiche definiert sind. Diese Umgebung würde wie ein lebendiger Organismus funktionieren, der sich ständig weiterentwickelt und anpasst. Ich stelle mir eine Arbeitsumgebung vor, die reich an Leben und Erfahrungen ist, mit Orten, an denen sich Menschen wohlfühlen, frei sind und inspiriert werden. Makerspaces und Coworking Spaces bieten bereits Ansätze dessen, was ich mir vorstelle, vor allem in Bezug auf Wärme und Raumatmosphäre. Was oft noch fehlt, ist das pulsierende Leben, das diese Räume mit Energie füllt. Unverzichtbar wären auch große Flächen, die es vielen Menschen ermöglichen, flexibel zusammenzuarbeiten und sich intensiv auszutauschen. Insgesamt wäre für mich eine Umgebung ideal, die sowohl das Gemeinschaftsgefühl als auch die individuelle Freiheit fördert und eine inspirierende, lebendige Atmosphäre bietet.

Herr Blum, vielen Dank für das Interview.

Ulrich Blum ist Experte für parametrisches Design und Raumanalytik. In seiner Rolle als Co-Leiter der Abteilung „ZHA Analytics and Insights“ bei Zaha Hadid Architects (ZHA) widmet er sich insbesondere der Entwicklung zukunftsweisender Lern- und Arbeitsumgebungen. Seine Mitwirkung an über 30 internationalen Projekten führte zu wegweisenden Fortschritten in der computergestützten Grundrissanalyse und der automatisierten Raumplanung, wobei das Augenmerk stets auf benutzerzentriertem Design lag. Seine Fachkenntnis in den Bereichen Workplace-Strategie und ‑Technologie spielte eine tragende Rolle für den Erfolg wichtiger Projekte von ZHA, darunter die Infinitus-Zentrale in Guangzhou und Unicorn Island in Chengdu, China – ein innovativer Masterplan, der Wohn- und Arbeitsräume für Start-ups neu definiert. Sein akademisches Profil schärfte er durch einen Master in Architektur und Urbanismus, den er an der Architectural Association in London absolvierte. Heute lehrt er als Professor an der Münster School of Architecture und teilt sein Fachwissen durch Vorträge und Lehrveranstaltungen an Universitäten und Konferenzen weltweit. Weitere Informationen: zaha-hadid.com und https://www.linkedin.com/in/ulrich-blum-05032315/.

Titelbild: Ulrich Blum