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Kunst wirkt: Wie Kunst den organisatorischen Wandel vorantreibt

Work Culture Festival

Viviane Mörmann auf der Work Culture Festival
IBA Redaktionsteam IBA Redaktionsteam ·
5 Minuten

Was haben römische Münzen, Street-Art bei Tesla und Murals in Kantinen gemeinsam? Sie alle zeigen, wie Kunst seit Jahrhunderten als Impulsgeber für gesellschaftlichen und unternehmerischen Wandel wirkt. Die Kuratorin und Kunstberaterin Viviane Mörmann, Autorin des Buches The Corporate Art Index, warf in ihrer Keynote auf dem Work Culture Festival einen neuen Blick auf die Rolle von Kunst in Organisationen.

Warum der Arbeitsplatz der Zukunft Kunst braucht

Mörmann machte gleich zu Beginn deutlich: Kunst ist kein Nebenschauplatz, sondern ein Schlüssel zur Zukunft. Sie zitierte den Literaturwissenschaftler Hans Ulrich Gumbrecht, der empfiehlt, sich durch Kunsterfahrungen „fit für die Zukunft“ zu machen – nicht im Sinne technischer Effizienz, sondern im Sinne von Wahrnehmungsschärfung, Imagination und Empathie. Denn überall dort, wo Veränderung gefragt ist – sei es technologisch, sozial oder kulturell –, reichen klassische Managementansätze oft nicht aus. Es braucht neue Bilder, neue Narrative und eine geschärfte Vorstellungskraft, um komplexe Entwicklungen nicht nur zu verstehen, sondern auch aktiv gestalten zu können. „Der Arbeitsplatz der Zukunft braucht mehr als Tools und Prozesse“, so Mörmann. „Er braucht Kreativität, Sinnlichkeit und Offenheit – genau das bringt die Kunst mit.“ Kunst schärfe die Sinne, mache Routinen sichtbar und durchbreche Automatismen, Fähigkeiten, die in einer dynamischen, von Veränderungen geprägten Arbeitswelt immer wichtiger würden. In diesem Sinne sei Kunst nicht nur eine kulturelle Bereicherung, sondern ein strategisches Instrument zur Entwicklung der Unternehmenskultur. Eine Kultur, die sich nicht über Kontrolle, sondern über Resonanz, Dialog und Haltung definiert.

Kunst als Sinnstifterin im Unternehmen

Ausgehend von ihrer langjährigen Arbeit mit Unternehmen wie Swiss Mobiliar, Deutsche Bank und Google erläuterte Mörmann, wie Kunst nicht nur Räume, sondern auch Denkweisen verändert: Sie schafft Identifikation, regt zum Austausch an und fordert die Auseinandersetzung mit Themen, die im Alltag oft keinen Platz finden – von Diversität über Nachhaltigkeit bis hin zu gesellschaftspolitischen Fragen. Dabei geht es um weit mehr als um klassische Bilder an der Wand: „Kunst ist ein Werkzeug, das Denkgewohnheiten durchbricht und so Veränderung möglich macht.“ Ein Beispiel: Als sie bei Swiss Mobiliar ein Bild entfernte, das als Wegmarke diente, sorgte das zwar für Irritationen, aber auch für ein neues Bewusstsein, wie sehr Kunst in Alltagspraktiken eingebettet ist. In einem anderen Projekt wurde ein Aufenthaltsbereich gemeinsam mit Künstlern in ein partizipatives Raumkunstwerk verwandelt: mit neuen Sitzkonzepten, Farbwelten und Kommunikationsangeboten. So wurden die Mitarbeiter Teil des Gestaltungsprozesses – und das Büro zu einem lebendigen Ort für Begegnung.

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Mehr als Dekoration: Kunst als Kommunikationsfläche

Für Mörmann ist klar: Kunst ist kein Accessoire, sondern Medium und Motor des organisatorischen Wandels. Ob in Form von Ausstellungen im Unternehmen, Wandbildern, Workshops, Pop-up-Installationen oder digitalen Kunstformaten: Wo Kunst den Raum bespielt, kommt auch ein neuer Dialog in Gang. „Kunst erzeugt Reibung, aber gerade diese Reibung ist fruchtbar. Sie hilft, eingefahrene Muster zu hinterfragen.“ Dabei geht es nicht um den perfekten „künstlerischen Match“, sondern um das bewusste Zulassen von Ambivalenz. Kunst ist selten eindeutig. Sie irritiert, provoziert, lässt Fragen offen – und fordert zu Haltung auf. Für Unternehmen, die Transformation gestalten wollen, ist das kein Nachteil, sondern ein wichtiger Bestandteil von Lern- und Veränderungsprozessen.

Art-based Transformation – mit Strategie

Doch wie gelingt der Einstieg in die Zusammenarbeit mit Kunst und Künstlern? Mörmann empfiehlt, Kunst nicht als einmaliges Projekt, sondern als langfristige Strategie zu verstehen. Ihr „Corporate Art Index“ liefert dafür praktische Kriterien und Leitfragen: Wo stehen wir als Unternehmen? Welche Werte wollen wir durch Kunst sichtbar machen? Wie binden wir Mitarbeiter und Stakeholder ein? Wesentlich: eine frühzeitige Beteiligung. Wer Kunst früh in strategische Überlegungen einbezieht, schafft Identifikation und vermeidet Reaktanz. Besonders erfolgreich seien Formate, bei denen Künstler direkt mit den Mitarbeitern arbeiten – sei es in Workshops, Co-Creation-Prozessen oder Interventionen im Arbeitsalltag. „Kunst darf nicht das Sahnehäubchen sein, das man am Ende auf das Change-Projekt setzt. Sie muss Teil des Prozesses sein.“

Messbarkeit und Wirkung

Auch auf die Frage nach dem „Return on Art“ hatte Mörmann eine fundierte Antwort: Studien zeigen, dass Kunst am Arbeitsplatz messbare Effekte auf Zufriedenheit, Produktivität und Kreativität hat. So berichten Unternehmen wie Google oder die Deutsche Bank von weniger Krankheitstagen, höherer Identifikation und einem besseren Arbeitsklima. Doch: „Nicht alles, was zählt, lässt sich auch zählen“, sagt Mörmann. Kunst wirke oft im Verborgenen: in Gesten, Gesprächen, Haltungen. Ihr Wert liege nicht nur in Zahlen, sondern in ihrer Fähigkeit, Räume für Reflexion, Begegnung und Sinn zu schaffen.

Von der Kunst zur Zukunft

Zum Abschluss ihres Vortrags betonte Mörmann, wie eng die Frage nach der Zukunft mit der Gegenwart der Kunst verbunden sei. „Wenn wir uns eine positive Zukunft nicht mehr vorstellen können, wie wollen wir sie dann gestalten?“ Kunst sei kein Luxus, sondern eine gesellschaftliche Notwendigkeit, gerade in Zeiten globaler Umbrüche. Sie helfe, das Unsagbare sichtbar zu machen, Komplexität auszuhalten und neue Narrative zu entwickeln. Ihr Appell: Mutig sein, klein anfangen, groß denken. Ob mit einer Ausstellung, einem Kunstwettbewerb oder einer performativen Mittagspause: Entscheidend sei der erste Schritt. Denn Kunst, so Mörmann, sei immer ein Prozess. „Lassen Sie Platz für Entwicklung – nicht nur im Raum, sondern auch im Denken.“

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Viviane Mörmann ist Kuratorin, Kunstberaterin und Projektmanagerin. Sie betreut derzeit Projekte für die Stiftung Kunstsammlung Albert & Melanie Rüegg. Zuvor verantwortete sie unter anderem die Unternehmenssammlungen der Deutschen Bank und der Schweizerischen Mobiliar Versicherung. In ihrer Arbeit beschäftigt sie sich mit der Rolle von Kunst in Transformationsprozessen – von Nachhaltigkeit über Kreativität bis zur Gestaltung zukünftiger Arbeitswelten. Ihr Buch The Corporate Art Index gilt als Wegweiser für die Integration von Kunst in Unternehmen. Weitere Informationen: vmoermann.com

Titelbild: © IBA