Das führende Fachmagazin für Interior Design, FRAME, stellt seine Heftausgabe zum 25-jährigen Bestehen des Verlags unter den Titel „Space that matters“ [Raum, der zählt] und versucht darin zu ergründen, was Räume ausmacht und Interior Design künftig leisten muss. Bei der ORGATEC sprach Robert Thiemann, der Gründer und Herausgeber von FRAME, über die Eckpunkte dieses Manifests für die Zukunft.
Dass die Qualität der Raumgestaltung absolute Priorität haben muss, liegt für Robert Thiemann auf der Hand. Verbringen wir doch rund 90 % unserer Zeit in geschlossenen Räumen, sowohl im Beruf als auch privat. Konkret bedeutet das für ihn:
- bedeutungsvolle Erlebnisse zu schaffen,
- Räume agiler zu gestalten,
- Umweltauswirkungen zu minimieren,
- Nutzergruppen in den Gestaltungsprozess einzubinden sowie
- Gesundheit, Wohlbefinden und Komfort mehr Gewicht zu geben.
Erlebnis
sinnvolle, einprägsame, multisensorische Erfahrungen Schaffen
Wenn man überall arbeiten kann, warum sollte man dann ins Büro gehen, wenn nicht wegen der besseren Wirksamkeit, angenehmen Erfahrungen und besonderen Erlebnisse? Beim Raumdesign gilt es künftig, sinnvolle, einprägsame und – wenn möglich – multisensorische Erlebnisse zu schaffen, die im Vergleich zu anderen Orten den Unterschied machen.
→ Wir werden neue Phygital-Raumkonzepte kennenlernen, die die Vorzüge physischer und digitaler Erlebnisse miteinander verbinden. Sie reagieren auf den Trend, Erlebnisse über Produkte und Services zu stellen. Wie sich daraus stärkere und längere Verbindungen zu Menschen aufbauen lassen, zeigen aktuelle Beispiele im Bereich Retail, die Augmented Reality, Kunst und Materialien einsetzen, um das unmittelbare Produkterleben zu erweitern und gleichzeitig Kommunikation, Austausch und gemeinsame Aktivitäten zu fördern.
Agilität
Agilität einbauen, um Räume zu personalisieren, gemeinsam zu nutzen und sich verändernde Bedürfnisse zu antizipieren
Agilität lebt von einem Mix aus verschiedenen Orten. Für das Büro bedeutet das eine Kombination aus Räumen für Teambesprechungen über konzentrationsfördernde Räume bis hin zu offenen Räumen mit beweglichen Möbeln, die spontane Gespräche mit Kollegen und andere Settings ermöglichen. Dabei ist der Trend von „One size fits all“-Universallösungen hin zu integrativen Bürokonzepten unumkehrbar.
→ Und Raumgestaltung wird künftig mehr durch Flexibilität geprägt sein; Architektur und Produkte müssen sich insgesamt schneller an geänderte Anforderungen anpassen. Damit kann Raumdesign künftig stärker auf unterschiedliche Produktivitätsanforderungen reagieren. Mitarbeiter erhalten die Möglichkeit, zu entscheiden, wie sie bestimmte Räume konkret nutzen wollen. Dabei werden Räume so konzipiert und ausgestattet, dass sie sich modular umgestalten lassen und die Raumordnung insgesamt hybridisieren.
Nachhaltigkeit
Umweltbelastungen minimieren
Die Reduktion von CO2-Emissionen und die Erfüllung der UN-Kampagne „Race to Zero“ sind einige der Nachhaltigkeitsfaktoren, die die Raumgestaltung beeinflussen werden. Diese folgt in Zukunft der Maßgabe, Umweltauswirkungen zu minimieren, umweltfreundlichere Materialien zu verwenden und Lieferketten neu zu denken. Dabei setzt Raumdesign verstärkt auf die Bausteine „Reduzieren“, „Wiederverwenden“ und „Wiederverwerten“.
→ Für Designer gilt es künftig, resiliente Lösungen für Nutzer und Umwelt zu entwickeln und durch die Integration von Natur und biophilen Elementen sowohl die mentale Gesundheit als auch die Produktivität am Arbeitsplatz positiv zu beeinflussen. Dabei, das ist Thiemann wichtig, geht es nicht nur darum, natürliches Licht und Pflanzen in Räume zu integrieren, sondern einen positiven Beitrag zur Erhaltung der Umwelt zu leisten, beispielsweise indem Fassaden und Dächer von Gebäuden in Innenstädten begrünt werden.
Co-Kreation
Gemeinschaften von Nutzern in den Designprozess einbeziehen
Räume werden sich künftig mehr darauf konzentrieren, ein Zusammengehörigkeitsgefühl zu fördern. Die Ausrichtung am Nutzer erfordert Räume, die den menschlichen Wünschen und Bedürfnissen entsprechen sowie kulturelle Identität und Lebensstil zum Ausdruck bringen.
→ Designprozesse, die die Entwicklung von Räumen und ihren Einrichtungen in die Hand der Nutzer legen, sind ein wichtiges Instrument, um dieses Ziel zu erreichen. Gestaltungsprozesse werden daher künftig demokratischer und gemeinschaftsorientierter sein: Mitarbeiter werden wesentlichen Anteil an den Gestaltungsprozessen haben. Damit wandelt sich auch die Rolle der Designer in Raumprojekten: weg vom Kapitän hin zur Rolle des Moderators, Vermittlers und technischen Beraters.
Wellbeing
Priorität auf Gesundheit, Wohlbefinden und Komfort der Menschen legen
Viele Pläne zur Rückkehr an den Arbeitsplatz scheitern daran, dass nicht erkannt wird, wie sich flexible Arbeitsformen auf das menschliche Wohlbefinden auswirken. Unternehmen jeder Art und Größe lernen gerade, dass sich individuelle Arbeitsmodelle statt pauschaler Richtlinien positiv auf Inklusion und das Wohlbefinden im Raum auswirken.
→ Raumgestaltung wird daher künftig mehr als bisher individuelles Wohlbefinden und Komfort in den Vordergrund rücken. Jeder Mitarbeiter soll sich wahrgenommen und gehört fühlen und ein Raumangebot entsprechend seiner Bedürfnisse erhalten. Ein Wellness-orientierter Arbeitsplatz betrachtet Gesundheit ganzheitlich. Ein wichtiger Aspekt dabei: Weniger „Instagramability“ und mehr Rücksicht auf neurodiverse Nutzer. Rund 30 % aller Menschen reagieren empfindsam auf Umgebungseindrücke. Auf ein an starken Effekten ausgerichtetes Design ohne inhärente Funktion, so Thiemann, sollte man daher besser verzichten.
Den Mitschnitt des Vortrags von Robert Thiemann finden Sie in der Mediathek.
Einen detaillierten Einblick in 25 Jahre FRAME und die „The Next Space“-Bewegung erhalten interessierte Leser in Ausgabe 149 des FRAME Magazins.