Die Bedeutung von Nachhaltigkeit bei Kaufentscheidungen nimmt zu. Laut der von der Königsteiner Gruppe in Kooperation mit dem Marktforschungsinstitut respondi aufgelegten „Jobfaktor Klima“-Studie vom April 2020, bei der bundesweit 3.000 Berufstätige im Alter von 18 bis 69 Jahren befragt wurden, sind Nachhaltigkeit und umweltbewusstes Handeln für zwei Drittel der Befragten ein wichtiger Anreiz bei der Arbeitgeberwahl. Eine an Nachhaltigkeit orientierte Beschaffung ist somit auch ein Instrument der Profilierung für Arbeitgeber. Wir sprachen mit Volker Weßels über die Beschaffung von Büro‑, Schul- und Objektmöbeln.
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Herr Weßels, die European Office Furniture Federation (FEMB) hat 2017 mit LEVEL ein eigenes Nachhaltigkeitszeichen aufgelegt. Es gab aber schon zuvor eine Reihe von Umweltlabeln. Was ist bei LEVEL anders?
LEVEL basiert auf dem FEMB-Nachhaltigkeitsstandard, der sehr viele Nachhaltigkeitsaspekte speziell in Bezug auf Büro- und Objektmöbel beinhaltet. Für die Ausstattung von professionell genutzten Büroarbeitsräumen gab es zuvor noch kein umfassendes Label, das unterschiedliche ökologische Aspekte und soziale Fragen berücksichtigt und sie neutral bewertet. Wichtig war uns außerdem ein gesamteuropäischer Ansatz. Dazu gehört unter anderem die Berücksichtigung der Anforderungen des Green Public Procurement (GPP) der EU, also des Programms zur nachhaltigen Beschaffung, das Grundlage für nahezu alle größeren öffentlichen Ausschreibungen der Europäischen Union ist.
Wie funktioniert die Zertifizierung?
LEVEL ist ein sogenanntes Third-Party Label beziehungsweise ein Label gemäß ISO 14024 Typ I. Im Unterschied zu den allermeisten Auszeichnungen dieser Art auf dem Markt liegt die Verantwortung für die Zertifizierung nicht in der Hand des Zertifikatsträgers, im Fall von LEVEL also bei der FEMB, sondern bei unabhängigen Stellen, die dafür eine Anerkennung nach ISO 17065 vorweisen müssen. Darauf sind wir sehr stolz. So wird die Neutralität sozusagen von amtlicher Seite garantiert.
Hersteller, die ihre Produkte von einem der akkreditierten Institute prüfen lassen wollen, können im Rahmen eines Audits Punkte sammeln. Je nachdem, wie viele Punkte sie erreichen, können sie eine Zertifizierung der Stufe 1, 2 oder der derzeit höchsten Stufe 3 erhalten. Zusätzlich müssen sie einige Vorbedingungen erfüllen. Das sind Kriterien, denen sie auf jeden Fall entsprechen müssen.
Sie sprechen von LEVEL als der umfassendsten Zertifizierung für Möbel. Dennoch dürfte es unmöglich sein, alle Aspekte nachhaltigen Handelns mit belastbaren Daten zu belegen. Wo ziehen Sie bei der LEVEL-Zertifizierung die Grenzen?
Es gibt drei Abgrenzungen, die wir für LEVEL treffen mussten. Zum einen ist das Zeichen nur verfügbar für Büro- und Objektmöbel in Innenräumen. Darunter fallen neben dem Büro zum Beispiel auch Schulen und andere öffentliche Räume. Wohnmöbel, Außenmöbel und Komponenten können zumindest derzeit nicht zertifiziert werden. Zum Zweiten bewerten wir nicht die Wirtschaftlichkeit von Produkten oder Unternehmen, obwohl auch dies zur Nachhaltigkeit gehört. Zum Dritten haben wir Grenzen dafür gesetzt, ab welcher Wirtschaftsstufe wir realistisch prüfen können. Bei Holz gibt es klare internationale Regeln für Bewirtschaftung und Einschlag, die in die Bewertung eingehen. Für die Gewinnung von anderen Rohstoffen wie Metallen gibt es bislang keine international verbreiteten Lieferkettenaudits, die zuverlässig eine ökologische und sozial faire Verarbeitung erfassen. Deshalb setzt der Prüfbereich von LEVEL im Regelfall bei der Lieferung von Vorprodukten an. Also zum Beispiel bei den Lieferanten von Beschlägen, Polsterschäumen, Leder und Kunststoffteilen. Der Prüfbereich endet an der Stelle, an der das fertige Produkt das Unternehmen verlässt, wobei der Transport zum Handel oder auch zum Kunden noch eingeschlossen wird. Das ist der sogenannte Gate-to-gate-Ansatz, von der Eingangstür für die Vorprodukte bis zum Auslieferungstor. An einzelnen Stellen ist es allerdings möglich, Punkte zu sammeln, auch wenn die entsprechenden Aktivitäten streng genommen vor oder nach dem „Gate“ liegen, zum Beispiel wenn das Produkt nach den Prinzipien der Circular Economy behandelt wird.
Ist das LEVEL-Zertifikat ausschreibungsfähig? Wie wird es von den Herstellern angenommen?
Ja, LEVEL wird auch in öffentlichen Ausschreibungen verwendet. Dabei können sowohl die Zertifizierung als auch einzelne Leistungsbereiche gemäß dem FEMB-Standard ausgeschrieben werden.
Lassen Sie uns noch einen kurzen Blick auf die Maßnahmen der EU im Bereich der Nachhaltigkeit werfen. Was erwartet uns da?
Dieses Feld weitet sich immer mehr aus, seitdem der European Green Deal 2019 in der zweiten Auflage konkrete Anforderungen an die EU-Institutionen stellt. Es wurden daraufhin in kurzer Zeit der Circular Economy Action Plan (CEAP) und die darin enthaltene Sustainable Products Initiative (SPI) vorgestellt. Beide sind auch für die Entwicklung und Produktion von Büro- und Objektmöbeln relevant. Derzeit wird zudem das EU Ecolabel überarbeitet. Spezifische Kriterien für Möbel wird es aber frühestens in zwei Jahren geben. Ein weiteres EU-Projekt ist der sogenannte Product Environmental Footprint (PEF), der die ökologische Qualität eines Produkts mit einer Messzahl beschreiben soll. Um dies für alle Produkte, zum Beispiel bei Möbeln, vereinheitlichen zu können, braucht es Spielregeln, die sogenannten Product Category Rules (PCR). Und ja, seit wenigen Tagen liegt der neue Entwurf der Verordnung zum Ökodesign für nachhaltige Produkte vor, die sich als Rahmenwerk auf 123 Seiten plus Anhänge mit sehr vielen dieser Themen befassen wird. Im Normenbereich bearbeiten wir auf deutscher und europäischer Ebene derzeit einen „Circularity Index“ für Möbel, der mittelfristig ebenfalls Einfluss auf LEVEL haben wird. Sie sehen, auf diesem Feld ist momentan sehr viel Bewegung, vieles wird sich noch ändern. In den meisten Bereichen ist LEVEL den geltenden Standards aber bereits einen Schritt voraus.
Herr Weßels, wir danken Ihnen für das Gespräch.