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Sascha Lobo: Durch Deutschland muss ein KI-Ruck gehen

Work Culture Festival

Sascha Lobo auf der ORGATEC
IBA Redaktionsteam IBA Redaktionsteam ·
6 Minuten

Sascha Lobo ist einer der bekanntesten digitalen Vordenker unserer Zeit. Auf der ORGATEC in Köln sprach er darüber, wie Digitalisierung und Künstliche Intelligenz die Arbeitswelt verändern und warum ein KI-Ruck durch Deutschland gehen muss. Seine Forderung: Deutschland muss die Ängste rund um KI überwinden und eine neue Kultur des Experimentierens und Investierens etablieren, um wettbewerbsfähig zu bleiben.

Angst als Hindernis des Wandels

Zu Beginn seines Vortrags ging Lobo auf ein zentrales Hemmnis des Wandels ein: die Angst und Sorge um die Jobsicherheit. Diese diffuse Angst vor der Ungewissheit, ob der eigene Arbeitsplatz durch KI überflüssig werden könnte, lähmt die Bereitschaft zum Wandel und wird oft nicht offen ausgesprochen. Stattdessen führt sie dazu, dass Menschen aller Hierarchieebenen Projekte blockieren oder Veränderungen mit rationalen Argumenten ablehnen, die letztlich Ausdruck dieser Angst sind. Diese Ängste müssen benannt und adressiert werden, sonst behindern sie den notwendigen Fortschritt und führen dazu, dass Deutschland den technologischen Anschluss an die führenden KI-Nationen verliert.

Deutschland hinkt bei KI-Investitionen hinterher

Für Lobo steht fest, dass die KI-Transformation Investitionen erfordert. Das heißt, wir müssen Geld in die Hand nehmen, um diesen Wandel zu verstehen und mitzugestalten. Und hier wird die erste ziemlich große und auch sehr unerbittliche Schwachstelle sichtbar: Die Investitionen in Informations- und Kommunikationstechnologien liegen in Deutschland bei nur 1,4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts und damit deutlich unter dem Niveau anderer Länder wie Schweden, Frankreich, Großbritannien oder den USA. „Deutschland dümpelt so vor sich hin“, kritisiert Lobo. „Und wenn wir uns jetzt vergegenwärtigen, dass Arbeitskultur in ihrer Weiterentwicklung selbst Geld braucht, dann ist das umso besorgniserregender.“ Zumal – und hier zitiert Lobo Michael Hüther vom Institut der Deutschen Wirtschaft in Köln – „Künstliche Intelligenz die größte Chance auf ein neues deutsches Wirtschaftswunder ist“. Und nicht nur bei den Investitionen schneidet Deutschland vergleichsweise schlecht ab. Auch die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit wächst nur schwach, während die USA und China ihre Wirtschaftskraft in den letzten drei Jahrzehnten vervielfacht haben. Der wirtschaftliche Schub durch die Digitalisierung, schon ganz ohne KI, führte also überall auf der Welt zu einem fulminanten Zuwachs an Wirtschaftskraft und Produktivität – nur nicht in Deutschland. Lobo mahnte, dass sich Deutschland diesen Rückstand nicht auch bei der KI leisten könne, wenn es seinen Wohlstand und seine Wettbewerbsfähigkeit erhalten wolle. Ein KI-Ruck sei notwendig, um die wirtschaftliche Renaissance zu ermöglichen, so Lobo.

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Wie KI die Arbeitswelt transformiert

KI revolutioniert bestehende Geschäftsmodelle durch eine bisher nicht gekannte Automatisierungsintensität und Effizienzsteigerung. Besonders prägend sind die Beschleunigung von Prozessen, die Virtualisierung und Skalierbarkeit von Ressourcen sowie eine radikale Effizienzsteigerung, die die weitgehende Automatisierung ermöglicht. Das verändert traditionelle Arbeitsstrukturen grundlegend und macht KI-gestützte Systeme zu Treibern von Produktivität und Innovation. Lobo ist überzeugt, dass KI in Zukunft so selbstverständlich Teil von Arbeitsprozessen sein wird wie heute Software. Mit der nächsten Entwicklungsstufe, den sogenannten Autonomous AI Agents – also Systemen, die eigenständig agieren können –, rückt eine weitere Veränderungsebene in greifbare Nähe.

Diese Transformation vollzieht sich von zwei Seiten: von oben durch strategische Unternehmensentscheidungen und von unten durch die informelle Nutzung von KI-Tools durch die Mitarbeiter. Zwei Beispiele: Walmart, einer der weltweit größten Einzelhändler, setzt bereits KI-gestützte Chatbots für Verhandlungen mit Lieferanten ein und erzielt damit Kosteneinsparungen von bis zu 25 Prozent. Besonders bemerkenswert: 75 Prozent der Lieferanten gaben an, lieber mit Chatbots zu interagieren, da diese alle relevanten Informationen und unbegrenzt Zeit zur Verfügung haben. Dies zeigt, wie effizient KI-Arbeitsprozesse etabliert werden können.

Die Transformation von unten wird durch die zunehmende Nutzung von KI-Tools im Alltag angetrieben. Eine Studie vom August 2023 hat ergeben, dass bereits rund 75 Prozent der Schülerinnen und Schüler in Deutschland ChatGPT für ihre Hausaufgaben nutzen. Analog zur Arbeitswelt zeigt sich, dass Mitarbeiter ähnliche Tools nutzen, sobald sie deren Vorteile erkennen. Lobo verweist in diesem Zusammenhang auf eine Studie des MIT aus dem Jahr 2023, die zeigt, dass Mitarbeiter, die mit KI arbeiten, zufriedener und produktiver sind und seltener kündigen. Angesichts des Fachkräftemangels ist dies ein entscheidender Punkt. Schließlich wird die nächste Generation, die bereits mit KI vertraut ist, kaum in Unternehmen oder in einem Umfeld arbeiten wollen, das auf solche Technologien verzichtet und Neuem gegenüber nicht aufgeschlossen ist.

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Es braucht einen Wandel der Arbeitskultur

Was bedeutet das konkret? Für Lobo ist klar: Um wieder vorne mitspielen zu können, muss sich die Arbeitskultur tiefgreifend ändern – hin zu einer Kultur des Ausprobierens und Voranscheiterns. Unternehmen müssen den Mut aufbringen, Risiken einzugehen und aus Fehlern zu lernen, statt nach Perfektion zu streben. Denn selbst bei perfekter Vorbereitung – das ist die erste und wichtigste Erkenntnis im Zeitalter der Künstlichen Intelligenz – können Unternehmen von KI überrascht werden. Ein Beispiel dafür ist Google, das Ende 2022 durch die Markteinführung von ChatGPT durch OpenAI gezwungen war, Alarmstufe Rot auszurufen, da sein Geschäftsmodell plötzlich massiv unter Druck geriet. Da KI in Zukunft noch stärker Geschäftsmodelle beeinflussen und ganze Branchen umwälzen wird, ist ein Umdenken unumgänglich. Deutschland braucht eine Kultur des „Ausprobierens, Lernens und Voranscheiterns“, so Lobos Appell – eine Kultur, die es erlaubt, Risiken einzugehen und Fehler zuzulassen. Diese Herangehensweise steht im Gegensatz zu den traditionellen deutschen Stärken Sorgfalt, Präzision und Perfektion, die deutsche Maschinen und Autos weltweit so beliebt machen. Doch Lobo warnt: Unsere bisherigen Stärken könnten sich in der Unvorhersehbarkeit des digitalen Wandels in eine Schwäche verwandeln. Damit das nicht geschieht, braucht es eine Transformation der Arbeitskultur und der Wirtschaft, braucht es  neue Maßstäbe. Dazu gehören Technologiebildung in Schule und Beruf, wie es bereits in China der Fall ist, lebenslanges Lernen und der Aufbau von AI Literacy – einem umfassenden Wissen über den Einsatz und die Möglichkeiten von KI, das weit über bloßes Prompting hinausgeht.

Work Culture Festival Impressionen

Ikonische Momente erleben Hier finden Sie eine erste kleine Auswahl an Fotos des Festivals.

Sascha Lobo ist Journalist, Blogger, Digitalexperte und Deutschlands vielleicht bekanntester Iro-Träger. Er lebt mit seiner Frau Jule und drei Kindern in Berlin und im Internet. Lobo arbeitet als Autor, Vortragsredner, Podcaster und Digitalunternehmer. Seit 2011 schreibt er eine wöchentliche Kolumne auf spiegel.de. Sascha Lobo veröffentlicht Bücher zum Zeitgeschehen und ist häufiger Gast in Talkshows. Mit Jule Lobo moderiert er den Podcast „Feel the News – was Deutschland bewegt“. Weitere Informationen: https://saschalobo.com/

Titelbild: © IBA