Vaughn Tan beschäftigt sich als Berater, Autor und Referent schwerpunktmäßig mit Strategien zum Umgang mit Unsicherheit und zur Förderung von Innovation. Am 24. Oktober 2024 wird er auf dem Work Culture Festival einen Vortrag zum Thema „Team- und Unternehmensorganisation für die Innovationsarbeit“ halten. In diesem Interview für das IBA Forum geht Tan auf den entscheidenden Unterschied zwischen Risiko und Unsicherheit ein und hebt hervor, wie Unternehmen sich anpassen können, indem sie eine Mentalität übernehmen, die Flexibilität und Experimentierfreude fördert. Auf der Basis von Erkenntnissen aus der Hightech-Branche, dem öffentlichen Sektor und der Spitzengastronomie untersucht er, wie Führungskräfte eine Kultur pflegen können, die auf kreative Problemlösungen setzt und so letztendlich die Innovationsfähigkeit verbessert und die Resilienz gegen unvorhersehbare Ereignisse stärkt.
Sie gehen detailliert auf den Unterschied zwischen Risiko und Unsicherheit ein. Wie genau können Unternehmen ihre Mentalität weniger auf Risikobewertung und mehr auf Unsicherheit ausrichten?
Der erste entscheidende Schritt ist, zu verstehen, dass es überhaupt einen Unterschied zwischen Risiko und Unsicherheit gibt. Beim Risiko weiß man nicht genau, was passieren wird, aber man kennt alle möglichen Maßnahmen, die man ergreifen könnte, und ihre potenziellen Ergebnisse. Zudem weiß man, mit welcher Wahrscheinlichkeit diese Maßnahmen zu bestimmten Ergebnissen führen und man kennt alle Ergebniswerte. Wenn man von Risiko spricht, weiß man fast alles über das, was man nicht weiß. Unsicherheit ist etwas anderes. Einer oder mehrere dieser Faktoren (Maßnahmen, Ergebnisse, Kausalzusammenhang oder Wert) ist bzw. sind unbekannt – es fehlen wichtige Informationen über das, was man nicht weiß.
Wenn Unternehmen das Unbekannte als risikoreich betrachten, treffen sie ihre Entscheidungen letzten Endes mit Hilfe von Risikomanagementinstrumenten wie Kosten-Nutzen-Analysen oder Berechnungen des Erwartungswerts. Sie glauben, genug zu wissen, um die Risiken zu mindern oder zu steuern. Wenn sie sich jedoch tatsächlich mit Unsicherheit auseinandersetzen müssen, sind diese Methoden nicht anwendbar. Echte Unsicherheit lässt sich nicht auf dieselbe Weise optimieren und erfordert einen grundlegend anderen Ansatz. Für einen Mentalitätswandel muss ein Unternehmen also zunächst einmal erkennen, dass nicht alle unbekannten Größen Risiken sind – bei einigen handelt es sich um Unsicherheiten, und zwar dahingehend, dass sie weder beziffert noch gemindert werden können. Wenn Unternehmen dies erkennen, können sie anfangen, neue Strategien zu prüfen, um die unbekannten Größen, mit denen sie konfrontiert sind, zu verstehen und die Unsicherheit mit geeigneten Instrumenten zu steuern. Dieses veränderte Verständnis, das ich als Mentalität der Unsicherheit bezeichne, ist die Grundlage für die Anpassung an eine unvorhersehbare Welt.
Sie haben im Laufe Ihres Berufslebens Erfahrungen bei Google, im öffentlichen Sektor, bei Nichtregierungsorganisationen, bei Start-ups und in der Spitzengastronomie gesammelt. Das sind sehr unterschiedliche Branchen. Wie haben diese Erfahrungen Ihre Sichtweise auf Unternehmensstrukturen und Innovation geprägt?
Auch wenn diese Branchen sehr unterschiedlich zu sein scheinen, haben sie einen bemerkenswert ähnlichen Innovationsprozess. Bei Google habe ich an verschiedenen Projekten gearbeitet, die von Google Maps und Google Earth zu großen Dateninfrastrukturen reichten, und dabei habe ich gemerkt, dass Innovation von innen kam – sie war dezentral. Einzelne Teams erkannten interessante Probleme, für die es noch keine eindeutigen Lösungen gab, und machten sich daran, mit Problemlösungen zu experimentieren. Dieser Ansatz förderte eine Kultur, in der Innovation nicht nach einem Top-Down-Ansatz erfolgte, sondern organisch von den Teams ausging, die am stärksten von den Problemen betroffen waren. Als ich später Untersuchungen in Forschungs- und Entwicklungsküchen von Restaurants durchführte, unter anderem im The Fat Duck und Noma, stellte ich fest, dass trotz der unterschiedlichen Ergebnisse die gleichen Grundsätze gelten. Das hat mich überrascht.
Durch Innovation entstehen in einem Restaurant Gerichte und bei Google Software, aber die Methode zur Generierung neuer Ideen ist im Grunde gleich. Innovation ist in jeder Branche mit viel Ausprobieren verbunden. Man versucht vieles und das meiste klappt nicht, aber man lernt aus diesen Fehlschlägen und arbeitet Schritt für Schritt auf etwas grundlegend Neues hin. Diese Erfahrung hat mich in meiner Überzeugung bestärkt, dass es bei erfolgreicher Innovation nicht auf große, perfekt umgesetzte Pläne ankommt. Es geht darum, gut mit Unsicherheit klarzukommen, kleine Ideen oft auszuprobieren und aus den Ergebnissen zu lernen – ganz gleich, ob das Experiment funktioniert hat oder nicht.
Unabhängig davon, ob es sich um einen Hightech-Konzern wie Google, ein Restaurant wie das Noma, eine Behörde oder eine Nichtregierungsorganisation handelt, unterscheidet sich die Innovationsarbeit grundlegend vom normalen Alltagsgeschäft. Man kann sie nicht auf dieselbe Weise planen, sondern braucht Teams, die agil, resilient und offen für Experimente sind.
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Welche Vorgehensweisen aus der Spitzengastronomie, die Sie in Ihrem Buch „The Uncertainty Mindset“ beschreiben, sind besonders hilfreich für Unternehmen in stark regulierten oder konservativen Branchen?
Die Vorgehensweisen aus der Spitzengastronomie, die ich in meinem Buch beschreibe, können für Unternehmen in stark regulierten oder konservativen Bereichen wie Banken, Versicherungen oder dem öffentlichen Sektor, überraschend relevant sein. Der Schlüssel zum Erfolg liegt nicht in der direkten Umsetzung dieser Vorgehensweisen, sondern in der Anpassung der zugrundeliegenden Prinzipien an die Erfordernisse der jeweiligen Branche. Die Art und Weise, wie innovative Restaurants bei der Einstellung von neuem Personal vorgehen, ist ein wertvolles Vorbild für andere Branchen.
In traditionellen Unternehmen sind die Stellenbeschreibungen oft starr, mit einem klaren Aufgaben- und Anforderungsprofil, das nicht berücksichtigt, wie sich die Tätigkeit entwickeln könnte. In dynamischen Umgebungen wie in den Teams, die in den Forschungs- und Entwicklungsküchen von Restaurants arbeiten, ist man sich jedoch darüber im Klaren, dass einige Aspekte einer Tätigkeit am Anfang noch nicht bekannt sind. Sie legen das Aufgabenprofil vielleicht zu 80 % fest, lassen aber 20 % offen, damit das neue Teammitglied herausfinden kann, wie es sich auf eine nicht von vornherein vorgesehene Weise einbringen kann. Ich bezeichne das als „negotiated Joining“, also das Aushandeln der Aufgabenprofile. Wenn ich als Berater Unternehmen dabei unterstütze, im Rahmen ihrer Einstellungsverfahren die Aufgabenprofile auszuhandeln, stellen sie fest, dass sie Talente einstellen können, die unerwartete Stärken mitbringen, Talente, die kreativ denken und sich an unvorhergesehene Herausforderungen anpassen können.
Dies ist für fast jede Branche wichtig, denn nahezu alle werden heute mit unvorhersehbaren Umständen konfrontiert. Das gilt selbst für eine traditionell konservative Branche wie die Versicherungswirtschaft. So können Versicherungsgesellschaften seltene Ereignisse nicht vorhersagen, wie etwa das, was gerade in Florida passiert ist: ein- und derselbe Staat war kurz hintereinander von zwei starken Hurrikans betroffen. Durch die Einführung flexiblerer Einstellungsverfahren, bei denen ein Teil des Aufgabenprofils nicht festgelegt ist, können Unternehmen besser kreativ denkende Mitarbeitende gewinnen, die darauf vorbereitet sind, mit diesen unerwarteten Ereignissen umzugehen. Dieser Ansatz ist nicht auf Nischenbranchen wie die Spitzengastronomie beschränkt. Er kann auch in konservativeren Umgebungen funktionieren, und Unternehmen wie Google und 3M haben mit ihrem „20-Prozent-Zeit“-Programm ein ähnliches Konzept umgesetzt.
Das Aushandeln der Aufgabenprofile beruht auf dem Prinzip, Unsicherheit im Hinblick auf die Arbeitsaufgaben sorgfältig auszugestalten. Dieser Unsicherheitsfaktor bei den Aufgaben bietet den Mitarbeitenden Raum für Innovationen und Ideen, selbst in einer klar strukturierten Branche – und sie führt zu wertvollen und unerwarteten Erkenntnissen sowie zu einer höheren Resilienz gegen Unsicherheit.
Sie sprechen von Offenheit und der Schaffung nicht festgelegter Aufgabenprofile durch das Aushandeln eben dieser Profile. Dies kann für die Lösung von Problemen und die Anpassungsfähigkeit eines Unternehmens hilfreich sein. Wie können Unternehmen diese Offenheit in ihre Strukturen integrieren, oder ist damit diese „20-Prozent-Zeit“ gemeint, die Sie eben erwähnt haben?
Das „20-Prozent-Zeit“-Programm ist eine Möglichkeit, die Aufgaben in einem Unternehmen offen zu gestalten, aber es ist nur ein Beispiel von vielen. Das Schlüsselprinzip besteht darin, dass ein Teil eines Aufgabenprofils wirklich offen ist, d. h. dass es nicht vorher festgelegt wird. Gleichzeitig muss aber auch dafür gesorgt werden, dass die offenen Teile des Aufgabenprofils ausgehandelt werden, damit die Mitarbeitenden Ideen oder Projekte entwickeln können, die für das Unternehmen von Nutzen sein könnten. So kann ein Manager beispielsweise 50 % der Zeit eines Mitarbeitenden für klar definierte Aufgaben einplanen, während die anderen 50 % für die Analyse von Problemen oder die Entwicklung von Lösungen verwendet werden können, die mit den allgemeinen Teamzielen im Einklang stehen. Diese Offenheit kann immer an unterschiedliche Unternehmensstrukturen angepasst werden. Das Konzept setzt jedoch voraus, dass Führungskräfte, Manager und Personalverantwortliche bereit sind, mit selbstverständlichen Abläufen wie Einstellungsverfahren und Personalentwicklung zu experimentieren.
Wie sollten sich Führungskräfte verhalten, um die Innovationsbereitschaft und
‑fähigkeit ihrer Teams zu fördern, und welche Fähigkeiten braucht eine Führungskraft, um solche Verhandlungen über offene Aufgabenprofile zu führen?
Die Führungskräfte müssen sich von dem traditionellen Führungsstil lösen, der nach dem Prinzip „Befehl und Kontrolle“ funktioniert. Heutzutage ist erfolgreichen Führungskräften klar, dass sie nicht über alle Fähigkeiten verfügen, die erforderlich sind, um komplexe Probleme anzugehen. Dies zu erkennen ist der erste Schritt zur Schaffung eines Umfelds, in das sich Teammitglieder mit unterschiedlichen Fähigkeiten einbringen können. Eine entscheidende Führungsqualität ist in diesem Zusammenhang die Fähigkeit, eine klare Richtung vorzugeben, ohne alle Schritte zu kennen, die zur Erreichung des Ziels erforderlich sind. Führungskräfte sollten sich darauf konzentrieren, Menschen zusammenzubringen und die Zusammenarbeit zu fördern, um mit Unsicherheit behaftete Herausforderungen zu bewältigen.
Führungskräfte müssen mit ihren Teams auf einer fundierten Grundlage besprechen, welche Fähigkeiten oder Ideen zur Erreichung eines gemeinsamen Ziels beitragen können, besonders, wenn man den weiteren Weg nicht genau kennt. Zudem sollten Führungskräfte mit Unsicherheit transparent umgehen. Es trägt zur Vertrauensbildung bei, wenn eine Führungskraft einräumt: „Ich weiß nicht, was als Nächstes passieren wird, aber lasst es uns gemeinsam herausfinden.“ Die Behauptung, auf alles eine Antwort zu haben, kann nach hinten losgehen, wenn die Wirklichkeit anders aussieht. Indem sie offen über Unsicherheit sprechen und zum Experimentieren ermutigen, können Führungskräfte stärkere, resilientere Teams aufbauen, die bereit sind, in unsicheren Umgebungen Innovationen zu schaffen.
Das hängt wahrscheinlich nicht nur von den Führungskräften ab, sondern auch von der Kultur oder dem Umfeld, in dem man sich befindet. Welche Art von Kultur braucht man also?
Unternehmen müssen eindeutig kommunizieren, dass Scheitern nicht automatisch negativ ist – es ist wichtig, dass die Führungskräfte dies klar und deutlich sagen, anstatt davon auszugehen, dass ihre Teams das wissen. Ich würde diese Kultur als eine Kultur definieren, die Experimenten, Lernen und Anpassungsfähigkeit einen hohen Stellenwert einräumt und gleichzeitig stabile Grundprinzipien beibehält. Es geht nicht nur darum, Scheitern nicht zu sanktionieren. Es geht vielmehr darum, Mitarbeitende und Teams darin zu schulen, gut durchdachte Experimente zu entwickeln, selbst wenn sie scheitern. Es geht auch nicht darum, Misserfolge an sich zu belohnen, sondern darum, Misserfolge zu belohnen, die das Ergebnis eines gut durchdachten Experimentierprozesses sind. Man soll die Leute dazu ermutigen, neue Dinge auszuprobieren, wenn es einen guten Grund dafür gibt, und unabhängig vom Erfolg aus den Ergebnissen zu lernen. Bei dieser Art von Kultur liegt der Schwerpunkt darauf, Einsatz und Lernen zu belohnen, anstatt den Erfolg einfach daran zu messen, ob eine Idee funktioniert. Der entscheidende Punkt ist, ein Umfeld zu schaffen, in dem das Ausprobieren neuer Ideen Teil des Prozesses ist und das Lernen aus Misserfolgen ein Weg zum Erfolg wird.
Lassen Sie uns über Innovationsprozesse in Unternehmen sprechen. Wie können sie als regenerative Prozesse gestaltet werden, statt einfach eine Reaktion auf Veränderungen zu sein?
Unternehmen müssen eine Kultur leben, die auf offene Aufgabenprofile und gedankliche Vielfalt setzt. Indem sie das Aushandeln der Aufgabenprofile zulassen, bei denen ein Teil der Aufgaben flexibel und nicht festgelegt ist, schaffen Unternehmen Raum für neue Perspektiven und Ideen. Dieser Ansatz fördert die Einstellung von Personen, die eventuell nicht in das traditionelle Schema passen, aber frisches, vielfältiges Denken mitbringen, das dem Unternehmen dabei helfen kann, seine Dynamik zu bewahren.
Ein Unternehmen wird erneuert, wenn diese neuen Perspektiven einfließen, die bestehenden Denkweisen werden hinterfragt und dem Unternehmen wird die Möglichkeit gegeben, sich weiterzuentwickeln und zu verändern. Das Unternehmen reagiert nicht einfach auf externe Veränderungen, sondern erneuert sich ständig von innen heraus. Diese interne Unvorhersehbarkeit ermöglicht es dem Unternehmen, externe Unsicherheiten besser zu steuern und eine Kultur der ständigen Anpassung und des Wachstums zu fördern. Indem man bewusst Personen einstellt, die anders denken, und ihnen den strukturierten Freiraum gibt, Ideen zu entwickeln, kann das Unternehmen langfristig innovativ und relevant bleiben.
Aus Ihrer Sicht sind traditionelle Unternehmensmodelle oft zu resistent gegen Veränderungen. Was sind die wichtigsten Schritte, mit denen ein Unternehmen diesen Widerstand überwinden kann?
Softwareentwicklung würde man diese Prozesse als „Maschinencode“ bezeichnen. Diese oft unsichtbaren, aber entscheidenden Vorgänge – wie Einstellungsverfahren, Anreizstrukturen oder Zielvereinbarungsprozesse – spielen eine wichtige Rolle bei der Beantwortung der Frage, wie anpassungsfähig ein Unternehmen ist. Der erste wichtige Schritt besteht darin, die Einstellungsverfahren zu überdenken. Viele Unternehmen bremsen Innovation unbewusst aus, indem sie bei Neueinstellungen auf Ähnlichkeiten zu den bisherigen Mitarbeitenden achten. Das führt dazu, dass weniger neue Ideen und Perspektiven in das Unternehmen eingebracht werden. Unternehmen müssen sicherstellen, dass ihre Einstellungsverfahren offen für Vielfalt und unkonventionelles Denken sind. Auch Zielvereinbarungsprozesse müssen flexibler werden. Starre Ziele können verhindern, dass Teams neue Wege beschreiten oder sich an veränderte Umstände anpassen. Unternehmen sollten Zielvereinbarungen treffen, bei denen es möglich ist, zur Erreichung des Ziels zu experimentieren und Anpassungen vorzunehmen. Die Art der Mitarbeitermotivation ist ein weiterer entscheidender Faktor. Oft werden nur bestimmte Erfolge belohnt. Dadurch werden die Risiken für innovative, aber möglicherweise erfolglose Ideen zu hoch. Es ist wichtig, nicht nur Erfolge zu belohnen, sondern auch gut durchdachte Versuche anzuerkennen, selbst wenn sie scheitern, da diese Fehlschläge zu neuen Erkenntnissen und Durchbrüchen führen können.
KI ist in aller Munde, und alle denken darüber nach, wie KI unsere Arbeitsweise beeinflussen wird. Was macht Menschen für Sie einzigartig? Welche Arbeiten sollen von Menschen und welche von Maschinen übernommen werden?
Der Hauptunterschied zwischen Menschen und KI besteht darin, dass Menschen subjektive Wertentscheidungen treffen können (ich bezeichne das als „Sinnstiftung“), während KI-Systeme und andere Maschinen dazu noch nicht in der Lage sind. Der Mensch kann in einzigartiger Weise sinnstiftende Entscheidungen treffen, sei es bei trivialen Dingen wie der Frage „Lieber Äpfel als Birnen?“ oder bei der Entscheidung, ob ein Präzedenzfall außer Kraft gesetzt werden soll oder nicht. Solche Fragen sind inhärent subjektive Wertentscheidungen, auf die es keine objektiv richtige Antwort gibt, und nur der Mensch ist in der Lage, diese Unsicherheit in Bezug auf den Wert zu lösen. Maschinen können dagegen riesige Datenmengen verarbeiten und Aufgaben ausführen, aber ihnen fehlt die Fähigkeit, den relativen Wert so zu verstehen oder einzuschätzen wie Menschen dies können.
Das bedeutet in der Praxis, dass Maschinen (einschließlich KI-Systeme) mit Routinetätigkeiten betraut werden können und sie diese Aufgaben zuverlässig und ohne Abstriche bei der Qualität erledigen, aber erst nachdem Menschen die sinnstiftende Arbeit geleistet haben. Also müssen Menschen immer zuerst diese sinnstiftende Arbeit übernehmen, ob es nun um so triviale Themen wie „Lieber Äpfel als Birnen?“ geht oder um Themen mit so weitreichenden Konsequenzen wie die Frage, ob ein Präzedenzfall weiterhin gelten oder eine Investitionsentscheidung getroffen werden soll.
Warum sollten Besucher zu Ihrem Vortrag auf dem Work Culture Festival kommen?
Die Leute sollten meinen Vortrag besuchen, wenn sie verstehen wollen, warum Innovation Unsicherheit braucht und wie sie Unsicherheit strategisch nutzen können, um jedes Unternehmen oder jedes Team, insbesondere ihr eigenes, besser in die Lage zu versetzen, mit einer zunehmend unsicheren Welt umzugehen. Ich werde einige konkrete Handlungsempfehlungen geben, die in jedem Unternehmen funktionieren und nicht nur in namhaften Konzernen, die als ressourcenstarke Innovationstreiber bekannt sind.
Vaughn, vielen Dank für das Gespräch.
Vaughn Tan ist als Berater, Autor, Entwickler von Schulungsunterlagen und Professor für Strategie am University College London tätig. Über zehn Jahre lang hat er Unternehmen, gemeinnützige Organisationen und Behörden dabei unterstützt, sich an Unsicherheiten anzupassen und von ihnen zu profitieren. Er hat an der Harvard University und der Harvard Business School promoviert. Im Rahmen seiner Tätigkeit als Consultant und Vorstandsmitglied berät Vaughn Unternehmen und gemeinnützige Organisationen. Er arbeitet an der Schnittstelle von Innovationsmanagement, Produktstrategie und Unternehmensstruktur. Als ausgewiesener Experte im Bereich Unternehmensorganisation (bzw. Reorganisation von Unternehmen) unterstützt er seine Kunden dabei, innovativer zu werden und ihre Resilienz gegen Unsicherheiten im Betriebsumfeld zu erhöhen. In seinem ersten Buch, „The Uncertainty Mindset“ (2020), geht es darum, wie Unsicherheit genutzt werden kann, um Innovation und Anpassungsfähigkeit zu fördern. In das Buch sind die Erfahrungen eingeflossen, die Vaughn Tan in seiner fast zehnjährigen Zusammenarbeit mit einigen der besten Teams in den Forschungs- und Entwicklungsküchen der Spitzengastronomie gesammelt hat. Es wird weltweit von Columbia University Press vertrieben. Vaughn Tan arbeitet momentan an seinem zweiten Buch, das sich mit Strategien für den Umgang mit verschiedenen Arten des Nichtwissens beschäftigt. Eine seiner früheren beruflichen Stationen war Google in Kalifornien. Dort arbeitete er an speziellen Projekten (unter anderem Raumfahrt und strukturierte Big Data) und Verbraucherprodukten (unter anderem Google Earth, Google Maps und Google Streetview). Weitere Informationen: vaughntan.org und https://www.linkedin.com/in/vaughntan/.
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