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Wie lassen sich Gebäude nachhaltig und zukunftsfähig gestalten? Interview mit Michael Wiebelt, M.O.O.CON

Nachhaltigkeit

Michael Wiebelt, M.O.O.CON, Copyrights: M.O.O.CON/Simon Hofmann
IBA Redaktionsteam IBA Redaktionsteam ·
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Der Gebäudesektor ist einer der größten Hebel im Kampf gegen die Klimakrise – und steht gleichzeitig unter wachsendem Transformationsdruck: Dekarbonisierung, Kreislaufwirtschaft, ESG-Reporting und EU-Taxonomie verändern die Anforderungen grundlegend. Die IBA Forum Redaktion sprach mit Michael Wiebelt, M.O.O.CON, darüber, weshalb der Bestand eine zentrale Rolle spielt – und wie Unternehmen mit Haltung nicht nur Emissionen, sondern auch Kosten und Risiken senken können.

Herr Wiebelt, die Klimakrise stellt auch die Immobilien- und Bauwirtschaft vor große Herausforderungen. Wo stehen wir?

Wir stehen an einem entscheidenden Wendepunkt. Der Bausektor verursacht rund 40 % der weltweiten CO₂-Emissionen – von der Herstellung der Baustoffe über den Bau bis hin zum Betrieb. Gleichzeitig liegen in diesem Sektor enorme Reduktionspotenziale. Die Technik für klimafreundliches Bauen ist vorhanden, es mangelt aber oft an der konsequenten Umsetzung. Jetzt muss gehandelt werden, mit einem klaren strategischen Mindset – wir bei M.O.O.CON nennen das Mind:Shift: Gebäude müssen neu gedacht werden: zirkulär, ressourcenschonend und resilient.

Welche regulatorischen Entwicklungen treiben diesen Wandel derzeit voran?

Insbesondere die EU-Taxonomie bringt eine starke Dynamik in den Markt. Sie verpflichtet Unternehmen, die Umweltauswirkungen ihrer Aktivitäten offenzulegen, und hat zum Ziel, Kapital in nachhaltige Projekte zu lenken. In der Praxis heißt das: Wer Gebäude baut oder saniert, muss nachweisen, dass dabei Umweltziele wie Klimaschutz, Ressourcenschonung oder Biodiversität berücksichtigt werden und dass keines dieser Ziele wesentlich beeinträchtigt wird. Die Auswirkungen auf Finanzierung, Bewertung und ESG-Reporting sind erheblich. Nachhaltigkeit wird zur Voraussetzung für Zukunftsfähigkeit – nicht nur ökologisch, sondern auch ökonomisch.

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Dekarbonisierung ist ein zentrales Stichwort. Wo sehen Sie die größten Hebel, um Emissionen zu reduzieren?

Der wichtigste Hebel liegt in der konsequenten Nutzung und Weiterentwicklung des Gebäudebestands. Denn der Großteil der CO₂-Emissionen entsteht bereits in der Bauphase, insbesondere im Rohbau. Wird die tragende Struktur erhalten und sinnvoll weitergenutzt, können erhebliche Emissionen eingespart werden – ohne die Funktion oder Qualität eines Bürogebäudes zu mindern. Ein zweiter Hebel ist die intelligente Nutzung von Büroflächen: Es geht nicht um weniger Büro, sondern um bessere, wirksamere Räume – angepasst an neue Arbeitsweisen und Bedürfnisse. Das Büro bleibt ein zentraler Ort der Kultur, der Kollaboration und der Identifikation. Mit durchdachten Konzepten lassen sich Flächenpotenziale ausschöpfen, ohne die Rolle des Büros zu schmälern. Ein dritter Hebel ist die Wahl der Materialien: Gebäude sollten von Anfang an als zirkuläre Systeme gedacht werden – mit Materialien, die rückbaubar, wiederverwendbar und dokumentierbar sind. Digitale Werkzeuge wie BIM helfen, diese Transparenz für den gesamten Lebenszyklus zu gewährleisten. Dekarbonisierung bedeutet in diesem Sinne nicht Verzicht, sondern strategische Planung für langlebige, anpassungsfähige und verantwortungsvoll genutzte Arbeitsumgebungen.

Welche Rolle spielt dabei die Kreislaufwirtschaft?

Eine sehr zentrale, insbesondere mit Blick auf Bürogebäude, die in vielen Unternehmen über Jahre hinweg Identität stiften und als stabile Infrastruktur dienen. Kreislauffähigkeit bedeutet, Gebäude so zu planen, dass ihre Materialien dokumentiert, sortenrein und rückbaubar sind – und somit wieder in den Wertstoffkreislauf zurückgeführt werden können. Bürogebäude, die mit dieser Perspektive entworfen oder weiterentwickelt werden, können über Jahrzehnte flexibel genutzt und angepasst werden – ein klarer Mehrwert für Unternehmen, die auf Wandel vorbereitet sein wollen. Wir sehen Gebäude zunehmend als urbane Minen, als wertvolle Ressourcenlager für die nächste Generation. Dafür braucht es Systeme wie Materialdatenbanken, Rücknahmesysteme und eine Öko-Bilanzierung für den gesamten Lebenszyklus.

Neben ökologischen Fragen geht es auch um einen kulturellen Wandel: Wie verändern sich Haltung und Anspruch von Unternehmen?

Unternehmen stehen heute mehr denn je in der Verantwortung: gegenüber der Gesellschaft, gegenüber Investoren und nicht zuletzt gegenüber den eigenen Mitarbeitern. Die Klimakrise ist nicht nur eine ökologische, sondern auch eine unternehmerische Herausforderung. Gebäude werden zur Visitenkarte der eigenen Haltung: Sind sie Ausdruck von Verantwortung? Fördern sie Gesundheit und Zusammenarbeit? Stehen sie für zukunftsgerichtetes Handeln? Nachhaltige Architektur ist kein reines Technikthema mehr, sondern eine Frage der strategischen Positionierung und damit der Marken- und Unternehmensidentität.

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Wie sehen Sie Suffizienz – also das Prinzip, durch bewusste Reduktion weniger Ressourcen zu verbrauchen?

Suffizienz ist einer der wirksamsten, aber auch unbequemsten Hebel. Es geht nicht darum, auf Qualität zu verzichten, sondern zu überdenken, was wir wirklich brauchen. Muss ein Bürogebäude jederzeit eine 100-prozentige Auslastung ermöglichen oder reicht ein intelligenter Mix aus Flächen für konzentriertes Arbeiten, für Begegnung und für hybrides Arbeiten? Weniger Fläche, aber besser genutzt – das ist die Devise.

Was möchten Sie Planern und Entscheidungsträgern mit auf den Weg geben?

Denken Sie Gebäude konsequent vom Lebenszyklus her. Hinterfragen Sie Routinen – sowohl in der Planung als auch in der Nutzung. Prüfen Sie, ob ein Neubau wirklich notwendig ist oder ob ein kreativer Umgang mit dem Bestand nicht noch mehr Potenzial birgt. Und vernetzen Sie sich frühzeitig mit allen relevanten Akteuren: Architektur, Technik, Betrieb, Nachhaltigkeit und Finanzierung. Nur so entstehen Lösungen, die langfristig tragfähig sind. Nachhaltigkeit darf kein Add-on sein – sie muss der Ausgangspunkt sein.

Vielen Dank für das Interview.

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Der Architekt und Diplom-Ingenieur Michael Wiebelt ist Partner bei M.O.O.CON und begleitet Organisationen bei der strategischen Entwicklung zukunftsfähiger Immobilien- und Arbeitswelten. Mehr Information auf https://www.moo-con.com/.

Copyrights: M.O.O.CON/Simon Hofmann