Der renommierte Architekt Peter Ippolito betrachtet das Büro der Zukunft als einen Raum, der viele Möglichkeiten eröffnet. Wert legt Ippolito aber unter anderem auf die Feststellung, dass dieses immer nur Teil eines umfassenden New-Work-Ansatzes sein kann.
Das Büro von morgen ist ein Ort, an dem Werte und die Sinnhaftigkeit dessen, was dort getan wird, verhandelt werden. Bei Fotoaufnahmen neuer Büroprojekte sieht man selten Arbeitsplätze, sondern meist nur Lounges, Cafeterien, Kommunikationsräume. Das spiegelt eindrücklich wider, wie sich das Bild von dem, was wir uns unter Arbeit vorstellen, verändert hat. Natürlich müssen noch immer erwartbare Prozesse abgehandelt werden. Aber die Kür ist eine andere: mehr Kommunikation, kreative Gespräche, Ideen-Wechselspiele, neue Denkansätze. Möglich wird diese freiere Form der Arbeit durch die Veränderung der Bedingungen, etwa die Miniaturisierung der Werkzeuge oder die in der Digital- und Online-Welt nicht mehr nötige Fixierung auf den Schreibtisch. Nennen wir es: from desk to collaboration.
Das Büro als Möglichkeitsraum
Wobei Kollaboration eben nur ein Aspekt ist. Auch Konzentration, Kommunikation oder Kontemplation gehören in diesen neuen Sinn(es)-Zusammenhang des Büros von morgen. Als Angebot von Möglichkeiten, die richtige Umgebung zur Tätigkeit zu finden, sind sie Orte mit offenen Nutzungskonzepten für unterschiedliche Büroalltagssituationen: stille Arbeit, laute Diskussion, Rückzug oder Austausch, Gruppengespräch versus Fokusarbeit. Jenseits der geplanten Abläufe bieten sie Raum für das Unerwartete und für das Ungeplante. In ihnen wird das entschiedene Dazwischen zum Ort für kreative Reibung und Innovation. So wird das Büro zu einem Ort, an dem ich sein möchte, aber nicht sein muss.
Das Büro der Zukunft ist also ein Möglichkeitsraum, der sich in ständiger Transformation an die sich ändernden Bedürfnisse anpasst. Statt eindimensionaler Zuschreibungen ist er eine Einladung, Gebäude und ihre Nutzung immer wieder fortzuschreiben. Sie erlauben eine hybride Nutzungsvielfalt und können sich mit wandelnden Ansprüchen weiterentwickeln. Dieser Wandel muss bei aller Planung immer mitgedacht werden. Er ist permanent – und er beschleunigt sich.
Das Büro der Zukunft kann immer nur ein Teil eines umfassenden New-Work-Ansatzes sein. Es reicht nicht, ein neues Headquarter mit neuen Lounge-Möbeln einzurichten oder die Sehnsuchtsbilder von alten Backsteinhallen, Werkstätten oder umgenutzten Räumen mit viel Charakter und Geschichte zu reproduzieren. Es geht immer um einen ganzheitlichen Prozess. Identität, Management- und Kommunikationskultur – die dafür benötigten Werkzeuge und Prozesse eines Unternehmens führen in einem alles verbindendem Denkansatz zusammen mit der Gestaltung der Räume zu einer konsistenten und damit glaubwürdigen Haltung zur Arbeit, mit der sich die Mitarbeitenden identifizieren können.
Stellen wir uns zur Illustration einen Eisberg vor:
Der fertig gestaltete Workspace liegt für alle sichtbar über der Wasserlinie. Doch zu New Work gehören genauso Führungs- und Unternehmenskultur, Organisationsentwicklung und die Zukunftsvisionen eines Unternehmens. Alles gleichwertige Bausteine von New Work, die aber weniger sichtbar sind – und sich auch nicht fotografieren lassen. Ohne umfassende Gestaltung der Prozesse, das berühmte Change-Management, bleibt der Raum immer nur eine Ansammlung von Objekten. Es ist für uns als Designer aufregend, sich dieses neuen Gestaltungsfeldes anzunehmen: from functional design to cultural design.
Wie eine Zwiebel: Aneignungsprozesse
Das Büro der Zukunft muss Antworten liefern auf Nutzerbedürfnisse. Mitarbeitende wollen Teil eines sozialen Kontextes sein, wollen sich dem Unternehmen, für das sie arbeiten, zugehörig fühlen. Andererseits lösen sich auch die Organisationsstrukturen in Unternehmen immer weiter auf. Klassische Abteilungen wandeln sich zu Matrixstrukturen, in denen Mitarbeitende zwischen den einzelnen Polen pendeln. Wenn es das Projekt erfordert, holt man sich Kollegen aus unterschiedlichen Bereichen dazu – die Grenzen werden durchlässiger, und das muss sich auch im Räumlichen ausdrücken.
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Dass sich Mitarbeitende einer Unternehmenskultur zugehörig fühlen, ist eine entscheidende Frage in der Gestaltung von Arbeitswelten. Bei dieser Art von Aneignung sprechen wir von einer Art Zwiebelmodell: „Ich gehöre zu dieser Firma, ich gehöre in dieses Gebäude, in dieses Stockwerk, in diese Abteilung, in dieses Team, und das ist mein Arbeitsplatz.“ Jede dieser Ebenen hat einen eigenen Aneignungsmechanismus, der zum einen aus dem Unternehmen heraus beantwortet werden muss, aus den jeweiligen Strukturen und aus der Führungskultur. Aber der eben auch durch die Architektur unterstützt werden kann. Ohne einen Prozess, bei dem das gesamte Team mitgenommen wird, ergibt sich kein tragfähiges und exzellentes Resultat. Der Raum allein wird dem gewünschten Anspruch nie gerecht werden.
Die Erkenntnis, dass das Gestalten von Räumen ohne die Gestaltung der Prozesse dahin mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht zum gewünschten Erfolg führt, sowie die Vorstellung, dass unsere Arbeit nicht der Endpunkt, sondern der Startschuss für Veränderung ist, erweitert die Idee unserer Arbeit fundamental. Wir sollten die Corona-Zeit nicht nur für uns als Branche, sondern für uns als Gesellschaft als Weckruf begreifen. Und nicht nur in der Arbeitswelt aus festgefahrenen Mustern ausbrechen. Sondern jenseits der erwarteten Antworten und vermeintlichen Wahrheiten die Potenziale der Zwischenräume entdecken, jener Freiräume, die eine unglaubliche Energie freisetzen können, wenn wir vorhandene Strukturen mit frischem Blick neu verhandeln.