Die Wirkung des Raums
Raum wirkt auf uns Menschen – ob wir wollen oder nicht. Das gilt gleichermaßen für den fleißigen und strebsamen Menschen wie für den genügsamen, für Babyboomer oder die Generation Z. Das wissen viele von uns. Unternehmen und Organisationen setzen dieses Wissen jedoch nur vereinzelt ein. Obwohl sie insbesondere in der vergangenen Pandemie gelernt haben, was Raum und räumliche Nähe mit und zwischen Menschen machen, blieb der bisherige Umgang mit dieser Wirkung teilweise auf der Strecke.
Viele moderne Arbeits- bzw. Bürokonzepte konzentrieren sich auf typische Tätigkeitsgruppen wie Kommunizieren, Fokussieren und Einzel- oder Teamarbeit und stellen für eben diese Tätigkeiten Räumlichkeiten zur Verfügung. Für einige Unternehmen ein richtiger und nachvollziehbarer Ansatz. Allerdings wird bei der Analyse der Kernaufgaben und Haupttätigkeiten von Unternehmen das Lernen im Arbeitsalltag häufig über- oder nicht gesehen, zumindest jedoch wenig berücksichtigt. In einer wissensorientierten Arbeitswelt, die von echten Könnerinnen und Könnern dominiert wird, ein relevantes Versäumnis.
Lernfähigkeit von Unternehmen als existentieller Erfolgsfaktor
Als Menschen lernen wir ein Leben lang. Auch wenn manches Erlernte im Laufe der Zeit verloren geht. Nicht anders verhält es sich bei Teams, Gruppen oder ganzen Unternehmen. Unternehmen sind jedoch geradezu gezwungen, andauernd dazuzulernen. Ein Ausruhen auf gewonnenen Erkenntnissen oder Fähigkeiten reicht nicht aus, um unternehmerisch erfolgreich zu bleiben. Globaler oder regionaler Wettbewerb, Fachkräftemangel oder (disruptive) Marktveränderungen und technische Entwicklungen erfordern von Menschen und Organisationen, durch Lernen, Wissenserwerb und den Erwerb von Fähigkeiten resilient gegen Widerstände und unerwünschte Veränderungen zu werden und dadurch lebens- und entwicklungsfähig zu bleiben.
Weitere Treiber für eine lernende Organisation sind die Folgen und Erkenntnisse der Corona-Pandemie. Viele leistungsorientierte Unternehmen der Wissensarbeit mussten von heute auf morgen lernen, Arbeitsabläufe und Schnittstellen remote zu managen. Meist gelang dies zunächst gut. Stillstand oder ein abruptes Ende der Geschäftstätigkeiten konnten vermieden werden. Häufig war sogar von Produktivitätssteigerungen zu lesen; meist unerwartet. Heute hingegen muss gelernt werden, mit den Folgen des Arbeitens auf Distanz – vereinfacht: Homeoffice – umzugehen. Hierbei gilt es, soziale und kulturelle Einschnitte zu vermeiden, wertvolle und menschliche Kommunikation zu erhalten sowie die Mitarbeitenden an das Unternehmen zu binden.
Arbeiten und Lernen im Büro wachsen zusammen
Und schließlich drängen die Fragen: Was können Unternehmen tun, damit Mitarbeitende voneinander lernen und wertvollstes Unternehmenswissen teilen? Wie kann kontinuierliches Lernen entwickelt und Könnerschaft im Unternehmen übertragen werden? Als Grundvoraussetzung für die Entwicklung der Gesamtorganisation, von Gruppen und des Einzelnen gilt das Vorherrschen einer allzeit spür- und erlebbaren Lernkultur. Lernen, sich entwickeln, kritisches Denken oder Fehlertoleranz sollten zur DNA eines jeden entwicklungsbereiten Unternehmens gehören.
Darüber hinaus sind weitere in der Unternehmensstruktur verankerte Lernansätze notwendig und gezielt einzusetzen. Neben neuen Methoden – Microlearning, Gamification u. v. a. – rückt nach dem digitalen Raum der analoge Raum als Lernunterstützer mehr und mehr in den Fokus von Chief Learning Officers, Organisationsentwicklern oder HR-Verantwortlichen. Zu offensichtlich ist, dass Raum auf unsere Denkprozesse, Emotionen und Wachheit (Awareness) großen Einfluss hat und diese wiederum entscheidend für unser Lernverhalten und kreative Kraft sind.
Analoger Lern-Raum: Werkzeug mit echtem Wirkungspotenzial
Unternehmen, die ihren Mitarbeitenden neben dem klassischen Bürobereich als Arbeitsort ergänzend eine analoge Lernwelt anbieten, achten auf ein hohes Maß an räumlicher Diversität, die die unternehmerische Offenheit im Geist und Freude an Neuem nach Neuem ausstrahlt und gleichzeitig Emotionen weckt. Die funktionale und atmosphärische Diversität einer wirksamen Lernwelt bietet verschiedenen Lernsettings und ihren Ausprägungen Raum: So stehen Angebote für verbale Kommunikation und Fokussierung, kooperatives und individualisiertes Lernen, analoge und digitale Arbeitsmittel, Experimentelles und Manuelles, Ernstes und Witziges jederzeit allen Lernenden zur Verfügung. Idealerweise sind die Angebote unternehmensspezifisch kombiniert und flexibel zu arrangieren.
Gleichermaßen relevant ist die räumliche Abbildung verschiedener Lernphasen, die wir durchlaufen. Ähnlich dem sportlichen Training sind Pausen, individuell gestaltet und terminiert, auch für das kognitive Training wichtig. Hierfür bedarf es ergänzende Orte für Rückzug und Ruhe, einhergehend mit der individuellen Wahl des eigenen Lern- und Erholungsorts. Ein Verzicht auf attraktive Erholungsorte und Pausen kann die Entstehung einer positiven Lern-Atmosphäre beeinträchtigen. (Die Leserinnen und Leser mögen sich an die eigene Schul- oder Studienzeit erinnern. Übrigens: Hochschulen und Universitäten stehen ebenso vor der Aufgabe, geeigneten Lernraum anzubieten!)
Also kann der analoge Raum als Lernwerkzeug verwendet werden, das den Menschen ermöglicht, sich selbst in eine Stimmung der Lernbereitschaft zu bringen und sich mit thematischen Fragestellungen auseinanderzusetzen. (Aber Achtung: Die oder der Einzelne sollte genau das auch wollen. Ein auferlegtes Lernprogramm reicht nicht!) Hierzu dienen alle Qualitäten, die einen Raum ausmachen können: von Proportion und Größe (und Höhe) über Licht und Beleuchtung bis hin zu Luft- und Akustikqualität sowie zur Funktionalität und Materialität.
Sichtbeziehungen zwischen Lernorten unterstützen eine „Wir lernen“-Mentalität. Sichtgeschützte Räume ermutigen zu mutigem und freiem Denken, zum Ausprobieren und Abweichen vom bisher Gelernten. Werkbänke fördern manuelles Anwendungslernen, beschreibbare Oberflächen laden zum Skizzieren von Ideen ein. Eine professionelle Servicierung des Lernbereichs drückt Wertschätzung aus.
unbedingt
Lernorte sind Gewinnbringer für alle Unternehmen der Wissensgesellschaft. Gelingt es Unternehmen, innerhalb der eigenen vier (Büro-)Wände gleichermaßen attraktive Orte des Lernens zu schaffen, Anreize für ihre gemeinschaftliche und individuelle Nutzung zu geben und eine Kultur des Mit- und Voneinanderlernens zu implementieren, können Potenziale des Wissens und Könnens aus dem Inneren der Organisation gehoben werden. Wertschöpfung und Unternehmensentwicklung wachsen zusammen. Vom Unternehmen gewollt, ausprobiert, vorgelebt.
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Tobias Baur is a partner and senior consultant at M.O.O.CON. He works with customers and at their premises to develop meaningful and sustainable real estate strategies, conceive and implement work environments and design projects. For further information, visit https://www.moo-con.com/.
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