Welchen Einfluss haben das veränderte schulische Lernen und die Durchdringung mit KI-Tools auf die Arbeitswelt? Teil 2 des Interview mit Professor Dr. Olaf-Axel Burow.
Was können Unternehmen für das innerbetriebliche Lernen daraus lernen?
Wir müssen uns von der übertriebenen Instruktionsorientierung lösen. Es geht darum, Menschen zu befähigen, herauszufinden, wo ihre besondere Fähigkeit liegt. In meinem Buch „Team-Flow“ habe ich eine Theorie des kreativen Felds entwickelt. Es braucht immer eine gute Mischung unterschiedlicher Kompetenzen und Skills sowie das entsprechende Umfeld. Schauen Sie sich Apple, Rolls-Royce oder auch die Beatles an. Der Mix aus Visionärem und Detailgetreuem, aus Glamour und Handwerk war der Hebel für ihren Erfolg.
In unserem System dagegen versuchen wir immer, Leute auf die gleiche Ebene zu heben und dann mit normierenden Prüfungen zu bewerten. Aber wir können nicht alles. Jeder von uns kann nur etwas Besonderes. Und das zählt. Durch die digitalen Systeme können wir unsere Schwächen künftig zum Teil ausgleichen, aber viel wichtiger wird dann die Interaktion: Menschen müssen teamfähig werden und in Kenntnis ihrer begrenzten Fähigkeiten herausfinden, wie sie durch optimale Passung über sich hinauswachsen können. Und das heißt, dass jeder von uns, auch mit vielleicht bescheidenen Fähigkeiten, zu Großartigem beitragen kann, wenn er eine genaue Kenntnis seiner Spezialfähigkeiten hat, dort gut trainiert ist und mit Unterstützung digitaler Systeme die richtigen Partner findet, mit denen er im Team über sich hinauswachsen kann.
„Das große einzelne Genial ist ohne sein Umfeld nichts.“ Prof. Dr. Burow
Wie werden Unternehmen künftig die Personalentwicklung gestalten?
Es geht darum, herauszufinden, wozu einzelne Mitarbeiter geeignet sind. Und eine Umgebung zu schaffen, damit sie sich mit ihren Fähigkeiten optimal entfalten können. Ken Robinson, ein englischer Theaterpädagoge, hat ein YouTube-Video hochgeladen, das millionenfach geklickt wurde: „Do schools kill creativity?“ Zerstören Schulen die Kreativität? Man könnte auch fragen: Zerstören Unternehmen die Kreativität? Wenn Unternehmen zu enge Vorgaben machen, Mitarbeitern zu wenig Freiraum und Selbstgestaltungsraum bieten und ihre spezifischen Fähigkeiten nicht anerkennen, dann führt das zur inneren Kündigung und sie nutzen das Potenzial nicht, das im Unternehmen vorhanden ist. Der Gallup-Engagement-Index zeigt ja seit Jahren, dass bis zu 15 Prozent der Mitarbeiter in der inneren Emigration sind und dass nur etwa 16 Prozent hochengagiert sind, das sind die Leute, die ihre Berufung gefunden haben, der Rest ist neutral. Und die große Frage ist, wie schaffen wir es, den Raum zu schaffen, damit Menschen ihre innere Berufung erkennen und Aufgaben erhalten, mit denen sie diese entwickeln und sich einbringen können? In einer disruptiven Welt wird es für Unternehmen immer wichtiger, keine reinen Normerfüller und Multiple-Choice-Anklicker zu haben, sondern wir brauchen Leute, die eigenständig und proaktiv Lust haben, etwas zu verändern. Und das bedeutet, dass sich die ganzen Führungsstrukturen und Vorgaben ändern müssen. Es geht um die Entwicklung gemeinsamer Visionen und Zukunftsbilder. Und das bitte im Team. Denn wir haben immer noch viel zu viele Top-down-Prozesse.
„Wenn man eine respektvolle, wertschätzende Arbeitskultur schafft und ansprechende Umgebungen positiv designt, dann reguliert sich das System von selbst.“ Prof. Dr. Burow
Wie sollte der physische Raum aussehen, damit ich ein optimales Arbeitsumfeld habe?
Die Alemannenschule in Wutöschingen, die wegen ihrer innovativen Lernkonzepte bundesweit bekannt geworden ist, ist für mich hier ein Vorreiter. Hier gibt es einen Inputraum, wo die Schüler an Stehtischen mit Smartboard stehen und kurze Instruktionen erhalten. Dann haben sie den Marktplatz, eine große Fläche mit Liegen, Sitzkissen, PCs sowie mit Vorhängen abgeteilten Compartments. Es ist eine Fläche, vielmehr eine vielfältige Umgebungslandschaft, die je nach Bedarf Rückzugsraum, Gruppentreff und auch vieles andere sein kann, wo man seinen Bedürfnissen entsprechend arbeiten kann. Das Dritte ist das Lernatelier, ein Großraum, in dem sich 250 Schüler sowie auch Lehrer aufhalten. Ein Sofa dient als Rückzugsort und als Platz zum Ausruhen. Hier lernen Schüler digital unterstützt, aber selbstständig und in ihrem Tempo. Und bei Bedarf signalisieren sie ihren Lehrern über einen roten Stift, dass sie Unterstützung beziehungsweise Beratung benötigen. Übrigens herrscht im Lernatelier absolute Ruhe. Aufs Unternehmen übertragen wäre das dann die Bibliothek oder der Einzelnachdenkraum.
Es braucht also in Unternehmen mehr Raumangebote, die den eigenen Rhythmus der Mitarbeiter unterstützen und ihnen optimale Lern- und Arbeitsumgebungen bieten. Und es braucht ein anderes Mindset. Weg vom Denken in Begrenzungen hin zum Denken in Möglichkeiten. Hin zu mehr innerer Freiheit und einer Führung durch Vertrauen und Wertschätzung. Hier bewegen wir uns dann aber im Bereich der Persönlichkeitsveränderung.
„Unternehmen sind gefordert, ansprechende Arbeitsumgebungen zu schaffen.“ Prof. Dr. Burow
Herr Professor Dr. Burow, vielen Dank für das Interview.