Prof. Dr. Ralf Lanwehr, Spezialist für Führung und Transformation und bekannt für seine Trainingstätigkeit für den DFB im Bereich Leadership, sprach auf der ORGATEC auf Einladung von Quality Office und des IBA über New Work, Führung und Charisma. Anlass für uns, noch einmal mit Ralf Lanwehr ins Gespräch zu gehen.
Herr Lanwehr, welche Möglichkeiten und Fallstricke hält die Zukunft für die Arbeitswelt bereit?
Für mich sind das folgende drei Aspekte: Zum einen wird die Arbeitswelt digitaler, was auch Auswirkungen auf das Führungsverhalten haben wird. Da die Digitalisierung die Bandbreite von Kommunikation einschränkt, können eher Missverständnisse entstehen und uns Signale leichter entgehen. Mit dieser Situation gilt es in Zukunft umzugehen. Unternehmen müssen Mitarbeitende daher gut darauf vorbereiten, mit dieser neuen, digitalen Situation zurechtzukommen. Und die Lösung ist für mich hier ganz klar analog: nämlich mit Wertschätzung.
Punkt zwei ist, dass Arbeitsorte zwar immer flexibler werden, wir aber immer noch zu wenig von den Rahmenbedingungen räumlich verteilter Arbeit, den sogenannten Mediatoren und Moderatoren, verstehen. Das gilt es schleunigst zu ändern.
Der dritte Punkt ist die Frage, wie ich als Unternehmen in einer immer komplexeren Welt, in der die Freiräume mit Flex-Work-Modellen steigen, Regeln clever so setzen kann, dass sie die Mitarbeitende nicht einengen, sondern ihnen Möglichkeiten für Beinfreiheit geben.
Unternehmen stehen aktuell vor der Aufgabe, ihre Leute wieder zurück ins Büro zu holen. Wie kann dieses Vorhaben Ihrer Meinung nach gelingen?
Im Prinzip braucht es hierfür eine Einstellungsänderung. Die Mitarbeitenden auf der kognitiven Ebene anzusprechen und ihnen zu erklären, warum es besser ist, im Büro zu arbeiten, wird künftig nicht mehr ausreichen. Es muss vor allem die emotionale und die affektive Ebene der Mitarbeiter angesprochen werden. Um sie ins Büro zurückzuholen, müssen wir sie emotional erreichen und sie fühlen lassen, warum die Arbeit im Büro gut ist und auch guttut. Und manchmal ist sicher auch der Einsatz von Autorität notwendig, um Menschen zurück ins Büro zu holen, gerade wenn Austausch und Zusammenarbeit wesentlich für gute Arbeitsergebnisse sind. Manche Arbeitsschritte benötigen einfach den persönlichen Kontakt und können nicht 1:1 durch Video-Calls ersetzt werden. Das heißt, wenn es im übergeordneten Sinne von Arbeit wichtig ist, gemeinsame Zeit im Büro zu verbringen, dann dürfen Unternehmen das durchaus auch durchsetzen.
Ein wichtiger Bezugspunkt im Büro sind neben dem direkten Team vor allem die Führungskräfte. Welche (neuen) Führungsqualitäten werden für das Hybrid-Work-Zeitalter benötigt?
Vorgesetzte benötigen weiterhin die bewährten Führungskompetenzen, die sogenannten 5Cs des Leadership. Aber was ich wahrnehme, ist eine Verschiebung der Gewichtung. Waren früher vor allem die stabilitätsorientierten Führungsstrategien, Control und Competition, wichtig, gewinnen künftig die flexibilitätsorientierten Führungsstrategien, Collaboration und Creativity, an Bedeutung. In dem Maße wie Teams diverser und bunter und damit auch Arbeitshaltungen und Werte-Sets vielfältiger werden, nimmt die Bedeutung von Kollaboration zu. Ebenso muss ich als Führungskraft Teams Kreativität und Innovation ermöglichen. Und das funktioniert nicht mit dem klassischen Ideenmanagement-Briefkasten, der immer noch in vielen Unternehmen steht. Das fünfte C, das künftig noch wertvoller werden wird, ist die Führungsstrategie des Charismas. Es dient den anderen 4 Cs als Booster und hat das Zeug dazu, die Herzen der Menschen zu gewinnen.
Können Sie einen kurzen Einblick in das charismatische Führen geben? Inwieweit lässt sich Charisma trainieren?
Charisma ist ein wichtiger Erfolgsfaktor für Führungskräfte. Dabei lässt es sich nur bedingt trainieren. Es gibt Eigenschaftskomponenten und es gibt Fähigkeitskomponenten. Bei den Fähigkeitskomponenten handelt es sich um das sogenannte Charisma-Dreieck. Das ist einerseits das Auftreten, wie man rüberkommt, das ist andererseits die Rhetorik, wie man formuliert, und es ist das Werte- und Zielsystem, auf Englisch deliver, frame und substance. In dem Dreieck gibt es dann jeweils Techniken aus einem Toolkit von 16 Charisma-Techniken, die man für seine Führungsarbeit nutzen kann. Natürlich sollte man dabei immer authentisch bleiben und diejenigen Taktiken wählen, die der eigenen Persönlichkeit am nächsten sind. Wenn wir uns Jürgen Klopp anschauen, sehen wir, dass er sich vieler Taktiken aus dem Bereich Rhetorik (frame) bedient. Er nutzt Geschichten, um Dinge zu erläutern, er formuliert Werte und Ziele häufig emotional und macht das einerseits gekonnt mit Metaphern wie Heavy-Metal-Fußball, aber auch oft mit Kontrasten. Hier muss aber jeder seine eigene Charisma-Taktik finden.
Welche Art von Arbeitskultur ist notwendig, um in Zeiten von Transformation und Change neue Mitarbeiter gewinnen und bestehende Mitarbeiter länger halten zu können?
Kollaboration, Kreativität und Charisma müssen viel stärker in der Unternehmenskultur verankert werden. Die Unternehmen werden in Zukunft aber auch einen Mindshift durchlaufen müssen in puncto Hiring. Recruiting muss viel Service-orientierter werden. Es braucht zudem realistischere Job-Ausblicke, die realistic job previews, um Kandidat:innen zu begeistern und Mitarbeitende zu binden. Und dann braucht es eine große Portion an Selbstreflexion in Hinblick auf die Arbeitskultur. Was ist die DNA des Unternehmens, welche Werte leiten das unternehmerische Handeln? Dabei gilt es, Kultur gemeinsam mit den Teams zu definieren und keine vorgefertigten Ergebnisse top-down zu präsentieren.
Herr Lanwehr, wir danken Ihnen für das Gespräch.