Der World Mental Health Day am 10. Oktober macht seit 1992 alljährlich auf das Thema der psychischen Gesundheit aufmerksam. Laut Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) beträgt der Anteil an Krankschreibungen aufgrund psychischer Erkrankungen rund 17,7 %. Eine Kennzahl, die auch Auswirkungen auf die Arbeitswelt hat. Die IBA Forum Redaktion sprach mit Dr. Eva Elisa Schneider über das Thema.
Eva, mentale Gesundheit gilt als wichtiger Bestandteil zukunftsfähiger Organisationen. Trotzdem gehen laut Internationaler Arbeitsorganisation (ILO) weltweit jährlich 12 Milliarden Arbeitstage durch psychische Beschwerden verloren. Sind Stress und mentale Überlastung ein Symptom der modernen Arbeitswelt?
Ja, auf jeden Fall. Aber wie das bei Symptomen immer so ist, steckt meist etwas Größeres dahinter. Was wir natürlich auf jeden Fall sehen, ist, dass immer mehr Menschen sagen, sie sind überfordert, die Arbeitsbelastung ist zu hoch, das Personal ist zu knapp. Und das führt zu Überforderung in einer Welt, die deutlich schneller und komplexer geworden ist. Und das alles drückt sich dann natürlich in Stress und mentaler Belastung aus.
Ist Mental Health ein Thema der jüngeren Generationen oder gibt es Unterschiede zwischen den Generationen?
Mental Health betrifft alle Generationen, auch wenn die Sichtbarkeit und der Umgang damit von Generation zu Generation unterschiedlich ist. Bei den Boomern sind Fleiß und Arbeitsethos sehr ausgeprägt und Gesundheit wird vielleicht etwas vernachlässigt, weil es für sie in erster Linie um Disziplin und Ehrgeiz geht. Dennoch ist Gesundheit für sie relevant. Nur sprechen Boomer aufgrund von Tabuisierung und Stigmatisierung einfach nicht so viel darüber wie andere. Jüngere Generationen wie die Gen Z sind mit dem Thema ganz anders aufgewachsen. Hier spielen die sozialen Medien eine Rolle, weil sie den Zugang zu Themen wie Mental Health wesentlich erleichtern. Und auch generell ist es bei den Jüngeren salonfähiger geworden, über Gesundheit zu sprechen. Man könnte also auf den ersten Blick denken, dass mentale Gesundheit ein Thema der jüngeren Generation ist. Dem ist aber nicht so. Wir alle streben danach, gesund zu sein und zu bleiben. Nur manchmal stehen uns Überzeugungen und gesellschaftliche Normen im Weg. Das ist bei den Jüngeren einfach nicht mehr der Fall, weil sie Gesundheit zu einem öffentlichen Thema machen.
Die Bedeutung mentaler Gesundheit rückt in immer mehr Unternehmen in den Fokus. Was macht das Thema so wichtig und was können Arbeitgeber dafür tun, damit es ihren Mitarbeitern gut geht?
Wir haben Krisen, einen Fachkräftemangel, die Boomer gehen bald in Rente oder sind gerade dabei. Das heißt, Unternehmen müssen attraktiver werden, vor allem für die Generationen, die nachkommen. Ein Megatrend in diesem Zusammenhang ist die Gesundheit. Gesundheit ist aber nicht nur ein Trendthema, sondern auch ein Business Case. Wir sehen in Erhebungen, dass jeder Dollar, der in die Gesundheitsvorsorge investiert wird, im Durchschnitt einen Benefit in Höhe von 5 Dollar mit sich bringt. Gesundheitsmaßnahmen sind also nicht nur nice to have, sondern bringen einen Return on Investment. Es ist wichtig, Gesundheit als integralen Bestandteil der Unternehmensstrategie zu sehen, als tragende Säule der Unternehmenskultur – und daraus konkrete Maßnahmen abzuleiten.
Wie haben sich die Anforderungen an Führungskräfte durch neue Arbeitsmodelle verändert?
Zwischenmenschliche Skills werden immer wichtiger, vor allem solche, die nicht so leicht durch KI ersetzt werden können, wie Empathie, Zuhören, hinter die Kulissen blicken, Kommunikation und Konfliktlösung. Dazu gehört für mich auch das Gesundheitsbewusstsein. Führung braucht in Zukunft mehr Psychologie, um Fragen zu beantworten wie: Was motiviert Menschen, was brauchen sie? Und auch: Wo finde ich das in meinem Unternehmen? Diese Aspekte müssen Teil des Führungsalltags werden, statt wie bisher Gesundheit auszuklammern und zu sagen, das macht das Personalwesen oder das Gesundheitsmanagement. Gesundheit ist ein Thema, das jede Führungskraft mitgestalten sollte. Hier braucht es ein generelles Umdenken und das Übernehmen von mehr Verantwortung.
Wie kann gesunde Führung deiner Meinung nach gelingen?
Gesunde Führung basiert für mich auf drei Säulen. Die erste Säule ist die Selbstführung. Hier geht es darum, ein Bewusstsein für das eigene Stress- und Energiemanagement zu schaffen. Wie gehe ich als Führungskraft damit um, wenn ich viel zu tun habe oder es mir nicht gut geht? Und wie wirkt sich das auf mein Verhalten gegenüber Mitarbeitenden aus? Die zweite Säule dreht sich um den Aspekt der Teamführung. Wie führe ich andere? Zum Beispiel: Kenne ich die Signale für Überlastung? Kultiviere ich ein Klima der Offenheit, in dem man Dinge wirklich ansprechen kann, ohne negative Konsequenzen befürchten zu müssen? Hier geht es viel um psychologische Sicherheit. Die dritte Säule, die wir gern vergessen, ist das bewusste Nutzen der Macht und des Einflusses von Führungskräften, um das Thema Gesundheit in der Organisation und in den Unternehmenswerten zu verankern. Strukturell groß zu denken und sich dafür einzusetzen, dass der Wert Gesundheit zu einem Unternehmensprinzip wird und immer wieder auf die Tagesordnung kommt. Hier ist noch mehr Verantwortungsbewusstsein gefragt.
Wie können Führungskräfte erkennen, ob ihre Mitarbeiter überlastet sind?
Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass das Einzige, woran wir Überlastung erkennen können, das Verhalten der Mitarbeiter ist. Wir können nicht in ihre Gefühlswelt schauen, wir können nicht wissen, was sie denken und was in ihrem Körper vorgeht. Wir können nur sehen, was sie tun und was uns vielleicht anders oder komisch vorkommt im Vergleich zu dem, was wir normalerweise von ihnen kennen. Das kann zum Beispiel sein, dass sich jemand in der Teamsitzung gar nicht mehr zu Wort meldet, völlig zurückgezogen ist und die Kamera immer ausgeschaltet hat. Vielleicht ist er nur noch passiv anwesend, besonders reizbar oder aggressiv. Oder jemand schreibt ständig spät abends E‑Mails, obwohl das eigentlich gar nicht zu ihm passt. Alles, was wir im Verhalten sehen, was anders ist als das, was wir sonst von der Person kennen, kann ein Signal für Überlastung sein.
Hier geht es zu Teil 2. des Interviews:
Dr. Eva Elisa Schneider ist promovierte Psychologin und Psychotherapeutin. Die Expertin für mentale Gesundheit und Arbeitskultur mit dem Schwerpunkt mentale Gesundheit ist als Trainerin und Speakerin vor allem im DACH-Raum bekannt und arbeitet mit internationalen Unternehmen im Bereich Gesundheitsmanagement und Organisationsentwicklung zusammen. Weitere Informationen unter https://www.evaelisaschneider.com/.
Titelbild: Dr. Eva Elisa Schneider