Die Gestaltung von Unternehmenskultur bewegt sich im Spannungsfeld zwischen Tradition und Veränderungsbedarf. Unternehmen sehen sich mit wachsenden Anforderungen an ihre Anpassungsfähigkeit, ihre Innovationskraft und Werteorientierung konfrontiert. Doch wie können Organisationen den Spagat zwischen bewährten Strukturen und zukunftsorientierten Ansätzen meistern? Dieser Frage gingen Rebecca Haubenreisser (Festo) und Tamara Braun (SAP) unter der Moderation von Mona Jung (Horváth & Partner) auf dem Work Culture Festival nach. Drei zentrale Themen standen dabei im Mittelpunkt: die Bedeutung einer offenen Feedbackkultur und konsequenter Führung, der Umgang mit Diversität und Inklusion als strategischen Faktoren sowie die Rolle von New Work und Mental Health.
Feedbackkultur und Leadership: Der Umgang mit Kritik und „Kulturverstößen“
Eine offene Feedbackkultur bildet die Grundlage für eine moderne Unternehmenskultur. In der Praxis scheitert sie jedoch oft an Hierarchien, Unsicherheiten und eingefahrenen Strukturen. Das Panel beleuchtete, wie Unternehmen kritische Stimmen fördern können und welche Rolle Führungskräfte dabei spielen. Ein häufiges Problem ist die Ja-Sager-Mentalität: Kritische Stimmen werden nicht ausreichend gehört, wodurch Innovationen und wesentliche Veränderungen ausbleiben. Unternehmen müssen daher aktiv ein Umfeld schaffen, in dem Feedback willkommen ist und unterschiedliche Meinungen gefördert werden. Gleichzeitig stellte sich die Frage, wie Unternehmen reagieren sollten, wenn sich Mitarbeiter nicht an Feedbackprozesse oder kulturelle Erwartungen halten. Die Diskussion machte deutlich, dass Unternehmen klare Grenzen setzen müssen, wenn zentrale Werte missachtet werden. Solche Veränderungen brauchen jedoch Zeit und konsequentes Handeln der Führungskräfte. Neben klaren Standards betonten die Teilnehmerinnen auch die Bedeutung von Fehlertoleranz. Diese sei notwendig, um eine lernende Organisation zu schaffen. Dabei sei ein Balanceakt zu bewältigen: Während bei Themen wie Datenschutz oder Qualität keine Fehler akzeptabel seien, müssten kreative Prozesse und der Umgang mit Kritik genügend Freiraum erhalten, um Innovationen zu ermöglichen. Nur so könnten Unternehmen lernen und wachsen.
Diversität und Inklusion: Quote oder Wettbewerbsvorteil?
Ein weiteres Thema der Gesprächsrunde war Diversität und Inklusion. Die Expertinnen diskutierten, ob Diversität in Unternehmen nur als Quotenmaßnahme wahrgenommen wird oder als echter Wettbewerbsvorteil dienen kann. Dabei zeigte sich eine deutliche Diskrepanz zwischen Führungskräften und Mitarbeitern: Während 55 % der Führungskräfte Diversität als „vorübergehenden Trend“ sehen, wünschen sich Mitarbeiter mehrheitlich ein vielfältiges Umfeld. Rebecca Haubenreisser erläuterte, dass Homogenität zwar schnelle Entscheidungen erleichtere, langfristig aber zu „Groupthink“ führe – einer Denkweise, die kritische Perspektiven ausschließe und Innovationen behindere. Sie machte deutlich, dass mangelnde Vielfalt ein erheblicher Wettbewerbsnachteil sein kann, da homogen getroffene Entscheidungen oft unausgewogen bleiben und die langfristige Stabilität des Unternehmens gefährden. Tamara Braun ergänzte, dass Diversität nicht auf Geschlechterfragen beschränkt werden dürfe. Sie umfasse kulturelle, altersbedingte und generationsübergreifende Unterschiede, die gemeinsam das kreative Potenzial eines Unternehmens stärken könnten. Gleichzeitig wies sie darauf hin, dass Diversität auch Herausforderungen mit sich bringe: Diskussionen dauerten länger, Entscheidungsprozesse seien komplexer und manchmal konfliktreicher. Dennoch, so Braun, biete Heterogenität klare Vorteile: Sie schaffe tragfähigere, ausgewogenere Lösungen und erhöhe die Wettbewerbsfähigkeit, da Unternehmen flexibler und widerstandsfähiger auf Veränderungen reagieren könnten.
New Work und Mental Health: Von der Luxusdebatte zur Notwendigkeit
New Work und mentale Gesundheit werden oft als Privileg der Büroangestellten wahrgenommen, obwohl diese Themen die gesamte Belegschaft betreffen – auch die Beschäftigten in produktionsnahen Bereichen. Das Panel zeigte auf, wie Unternehmen diese Ansätze aktiv umsetzen können, um sie zu einer strategischen Notwendigkeit zu machen und keine Luxusdebatte zu führen. Rebecca Haubenreisser betonte, dass New Work die Produktivität steigere und gleichzeitig das Wohlbefinden der Mitarbeiter nachhaltig fördere. Sie kritisierte jedoch die verbreitete Reduktion auf flexible Arbeitszeiten oder moderne Bürogestaltung. Vielmehr müsse New Work auch ergonomische Arbeitsplätze, die Einbindung von Produktionsmitarbeitern in kreative Prozesse und die Förderung der mentalen Gesundheit umfassen. Tamara Braun betonte, dass Unternehmen mit diesen Maßnahmen ihre Wettbewerbsfähigkeit stärken können, wenn sie gezielt auf die tatsächlichen Mitarbeiterbedürfnisse eingehen. Dies erfordere eine Abkehr von oberflächlichen Lifestyle-Lösungen hin zu praxisorientierten Ansätzen. Besonderes Augenmerk legten die Expertinnen auf die Belange der produktionsnahen Beschäftigten, den sogenannten blue collar workers, die im Vergleich zu Büroangestellten über weniger Freiräume verfügen. Flexible Schichtmodelle, Ruhezonen oder maßgeschneiderte Lösungen könnten ihre Arbeitsbedingungen spürbar verbessern. Haubenreisser berichtete, wie Festo mithilfe von Fokusgruppen konkrete Bedürfnisse ermittelt und darauf abgestimmte Maßnahmen entwickelt. Sie betonte, dass die aktive Einbindung der Beschäftigten in diese Prozesse entscheidend sei, um konkrete Ergebnisse zu erzielen. Zudem appellierte sie an die Führungskräfte, eine unterstützende Unternehmenskultur zu schaffen. Modern gestaltete Arbeitswelten allein lösten keine strukturellen Probleme, sondern müssten mit einer klaren Werteorientierung und zielgerichteter Führung einhergehen.
Unternehmenskultur ist kein statisches Gebilde, sondern ein Prozess, der Zeit, Geduld und Mut erfordert. Die Expertinnen betonten, dass Veränderungen oft im Kleinen beginnen und einen dialogorientierten Ansatz erfordern, der die Bedürfnisse der Beschäftigten ernst nimmt. Ob Feedback, Diversität oder mentale Gesundheit – nur Organisationen, die den Menschen in den Mittelpunkt stellen, bleiben langfristig erfolgreich. Der Spagat zwischen Bewährtem und Zukunft bleibt anstrengend, doch eines steht fest: Wer nicht wagt, verliert.
Work Culture Festival Impressionen
Rebecca Haubenreisser, Head of Culture Transformation and HR Strategic Projects | Festo
Rebecca Haubenreisser verantwortet bei Festo die Kulturtransformation und Themen wie New Work für über 20.000 Beschäftigte. Seit 2019 entwickelt sie Konzepte wie Desksharing-Modelle, Kreativräume und agile Trainings – immer mit dem Ziel, Organisation und Mensch in Einklang zu bringen. Ihr Fokus liegt auf effektiven Arbeitsmodellen, die nachhaltig weiterbringen. Weitere Informationen: https://www.linkedin.com/in/rebecca-haubenreisser-3b330a74/
Tamara Braun, Global Executive | SAP
Mit über 30 Jahren bei SAP hat Tamara Braun die Entwicklung des Unternehmens vom Start-up zum globalen Marktführer begleitet. Als Global Executive leitet sie internationale Transformationsprojekte und treibt innovative Unternehmenskultur, Teamführung und Diversität voran. Ihr Fokus liegt auf der Förderung von Zusammenarbeit und offener Kommunikation. Weitere Informationen: https://www.linkedin.com/in/tamara-braun-89bb351a/
Mona Jung, Senior Projekt Manager I Horváth
Mona Jung ist Expertin für New Work und begleitet seit sechs Jahren große Transformationen bei Horváth. In ihren Moderationen führt sie Diskussionen gezielt dorthin, wo Theorie und Praxis auseinanderdriften – mit dem Ziel, den Blick fürs Wesentliche zu schärfen und gleichzeitig das Augenzwinkern nicht zu vergessen. Mit ihrem Motto „Joy in journey“ verbindet sie radikale Transparenz, treffende Kommunikation und eine positive Herangehensweise an Veränderung. Weitere Informationen: https://www.linkedin.com/in/mona-jung-28360296/
Horváth / Programmpartner des Work Culture Festivals
Horváth ist eine internationale, unabhängige Managementberatung mit 1.400 Mitarbeitenden an Standorten in Europa, den USA und weiteren globalen Märkten. Als Topberatung für Transformation, Performance Management und Digitalisierung führen wir Unternehmen und öffentliche Organisationen zu nachhaltigem Erfolg und langfristig hoher Wertschöpfung. Für die hohe Zufriedenheit mit Projektergebnissen ist Horváth vielfach ausgezeichnet. Weitere Informationen: horvath-partners.com
Titelbild: © IBA