Künstliche Intelligenz (KI) gilt laut Jobs Report 2024 des World Economic Forum als einer der wichtigsten Disruptoren, der bis 2027 fast ein Viertel aller Arbeitsplätze verändern wird. Die Frage ist nun: Wie? Zukunftsforscherin Birgit Gebhardt und KI-Experte Clemens Wasner warfen dazu auf der ORGATEC ihre Ideen in den Ring: Wie lässt sich die Zusammenarbeit zwischen menschlicher und Künstlicher Intelligenz gestalten? Welche neuen Formen der Teamarbeit entstehen, wenn Wissen und Werkzeuge ad hoc verfügbar sind? Und wie müssen unsere Arbeitsumgebungen aussehen, damit Kommunikation nahtlos und intuitiv funktioniert?
Büros als Lernwelten: Ein Paradigmenwechsel
Birgit Gebhardt betont, dass Büros in einer KI-gestützten Arbeitswelt zu dynamischen Lernwelten werden müssen, um relevant zu bleiben. Die Grundidee: Büros sollen nicht nur Orte der Arbeit, sondern auch des gegenseitigen Wissensaustauschs und der Weiterentwicklung sein. „Wenn wir es jetzt nicht schnell genug hinkriegen, voneinander zu lernen, dann drücken die Leute nur noch auf den KI-Knopf – und lernen nicht mehr“, warnt Gebhardt. Obwohl KI den Zugang zu Wissen drastisch erleichtern kann, droht ohne gezielte Förderung menschlicher Interaktion und bewussten Lernens eine Entfremdung vom Wissen selbst. Der zwischenmenschliche Austausch bleibt entscheidend, um kritisches Denken und soziale Kompetenzen zu entwickeln – Fähigkeiten, die Maschinen nicht ersetzen können. Dynamische Arbeitsmodelle in vernetzten Teams erfordern jedoch nicht nur digitale Lösungen, sondern auch physische Büroumgebungen, die Austausch und Zusammenarbeit fördern.
Spielerisch arbeiten: Kreativität und Mut in virtuellen Welten
Ein zentraler Gedanke der Diskussion war, wie spielerische Ansätze den Arbeitsalltag bereichern können. Gaming-Sessel und virtuelle Welten ermöglichen eine neue Art der Kreativität. „Im Spiel wagen wir Dinge, die wir uns in klassischen Büroumgebungen nicht trauen würden. Wir können fliegen, fantastische Welten erkunden und freier denken.“ Dieser spielerische Ansatz könnte auch in den physischen Raum übertragen werden, zum Beispiel durch Werkstätten, in denen Teams direkt mit physischen Objekten experimentieren und arbeiten können. Das Werkstatt-Konzept zielt darauf ab, Arbeit stärker am zentralen Produkt oder Projekt auszurichten – sei es ein physisches oder ein digitales Objekt. Eine zentrale Rolle spielt dabei Augmented Reality, die es ermöglicht, Informationen direkt in die Umgebung einzublenden und interaktiv mit digitalen Zwillingen zu arbeiten. So werden digitale und physische Welt nahtlos miteinander verbunden. Dabei erleichtert KI nicht nur die Arbeit mit virtuellen und physischen Objekten, sondern sie ermöglicht auch eine intuitive, fließende Kommunikation sowie eine Zusammenarbeit ohne Medienbrüche von der Ideenfindung bis zur Analyse der Ergebnisse.
Das Büro als Ort der Begegnung und Kreativität
Die Corona-Pandemie und der Boom von Remote Work haben gezeigt, wie essenziell physische Begegnungen für Kreativität und Innovation sind. Branchen mit hoher Innovationskraft litten während der Distanzregelungen besonders stark, erinnert sich Clemens Wasner, Gründer eines KI-Start-ups. „Büros müssen sich viel stärker in Orte der Begegnung und gemeinsamen Erarbeitung verwandeln“, fordert er. Der Schlüssel zum Erfolg liege in der bewussten Förderung von Wissensaustausch und zufälligen Begegnungen, die oft ungeahnte kreative Impulse – sogenannte Serendipity-Momente – auslösen. Unternehmen mit hohen kreativen Anforderungen wie Apple oder Google setzen daher verstärkt auf physische Präsenz. Viele von ihnen verlangen inzwischen mehrere Tage Büropräsenz pro Woche, um den persönlichen Austausch zu stärken. Denn trotz der Möglichkeiten von KI und Augmented Reality bleibt der direkte Kontakt zwischen Menschen unverzichtbar. „Alles, was zu verschwinden droht, gewinnt an Wert“, betont Zukunftsforscherin Birgit Gebhardt – und das gelte auch für den persönlichen Austausch. Um diesen Wandel zu unterstützen, sollten physische Arbeitsorte stärker als bisher auf Interaktion und Begegnung ausgerichtet werden. Offene Bereiche, die spontane Gespräche und Zusammenarbeit fördern, können ein inspirierendes Arbeitsumfeld schaffen. So wird das Büro nicht nur zum Ort der Arbeit, sondern auch zur Quelle von Innovation und kulturellem Austausch.
Die Evolution der Arbeitsumgebung
Die Arbeitsorte der Zukunft werden hybride, multifunktionale Räume sein, in denen Mensch und Maschine nahtlos zusammenarbeiten. Neben klassischen Arbeitsplätzen rücken Bereiche in den Fokus, die speziell auf Kollaboration und Innovation ausgelegt sind, die auch über den Bürokontext hinausgehen können. Diese Räume erlauben es Teams, direkt am Produkt zu arbeiten – sei es physisch oder virtuell. „In den nächsten fünf bis zehn Jahren brauchen wir Arbeitsorte, die beides zusammenbringen“, erklärt Zukunftsforscherin Birgit Gebhardt. Richtungsweisend sind Konzepte, in denen sich Interaktion und Kommunikation um ein zentrales Objekt drehen. Hier entsteht eine natürliche Verbindung zwischen Mensch, Maschine und Aufgabe. Virtuelle Welten werden diese physischen Räume ergänzen und neue Dimensionen der Zusammenarbeit ermöglichen.
Die Vision geht aber noch weiter: Zukünftige Arbeitsplätze könnten sich zu sogenannten Cognitive Environments entwickeln, zu intelligenten Räumen, die sich dynamisch an die Aufgaben und Bedürfnisse der Mitarbeiter anpassen. Diese Räume sind nicht nur mit moderner Technik ausgestattet, sondern fördern aktiv die Interaktion zwischen Mensch und Maschine, indem sie die intuitive Kommunikation und Zusammenarbeit ermöglichen. Die junge Generation hat diese digitale Arbeitsweise bereits verinnerlicht. Spiele wie Minecraft zeigen, wie schnell junge Menschen komplexe Strukturen schaffen können – eine Denkweise, die sich auf reale Arbeitskontexte übertragen lässt. Dennoch bleibe das reale Produkt unverzichtbar, so Gebhardt: „Es fasziniert auf eine Weise, die rein digitale Erlebnisse nicht ersetzen können.“
Die Arbeitswelt der Zukunft wird also technologisiert sein, aber stets menschenzentriert bleiben. Denn letztlich schöpfen wir unsere Energie und Kreativität aus der Interaktion mit anderen Menschen und der physischen Umgebung – sei es im Büro, im Gaming-Sessel oder in einer erweiterten Realität. Unsere Aufgabe wird es sein, die Technologie sinnvoll einzusetzen, den richtigen Kontext zu schaffen und kreative Impulse zu geben. KI wird uns dabei als Werkzeug und Partner zur Seite stehen, aber die Verantwortung dafür, wie wir diese Technologie nutzen und mit ihr interagieren, bleibt bei uns.
Work Culture Festival Impressionen
Birgit Gebhardt ist Trendforscherin mit Schwerpunkt „Zukunft der Arbeitswelt“. Als Impulsgeberin begleitet sie Thinktanks, unterstützt Unternehmen bei der Entwicklung agiler Führungs- und Arbeitskultur sowie mit zukunftsfähigen Lernangeboten. Grundlage ihrer Beratungstätigkeit bilden zwölf Jahre Projektmanagement im Trendbüro, davon die letzten fünf Jahre als Geschäftsführerin. Im Auftrag des Industrieverbands Büro und Arbeitswelt (IBA) und der Messe für moderne Arbeitswelten ORGATEC entwickelte sie die New-Work-Order-Studien. Weitere Informationen: birgit-gebhardt.com
Clemens Wasner ist CEO von EnliteAI, einem österreichischen AI-Start-up, sowie Mitgründer und Vorsitzender von AI Austria, einem unabhängigen Verein zur Förderung von AI in Österreich. Auf europäischer Ebene ist er Mitgründer des European AI Forums, des weltweit größten KI-Verbands, sowie Vorstandsmitglied von ADRA, dem Public-private-Partnership der Europäischen Kommission für AI, Data und Robotics, wo er Investitionsprogramme in Höhe von 2,6 Mrd. Euro mitgestaltet. Bevor er sein eigenes Unternehmen gründete, verbrachte er mehr als 10 Jahre in Japan und China, von wo aus er als Partner in einer Unternehmensberatung die Expansion in Asien leitete. Weitere Informationen: aiaustria.com
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