Kartenschatten

WENIGER PRODUKTIV IM HOMEOFFICE(?)

Feldstudie im Auftrag des NBER

Wie produktiv ist die Arbeit im Homeoffice? Die Frage stellt sich seit Corona fast jedem Unternehmen, aber die in verschiedenen Studien ermittelten Zahlen widersprechen sich. Gründe dafür gibt es viele: die Komplexität des Themas, die Auswahl des Untersuchungsumfelds und verschiedene Faktoren, die Ergebnisse überlagern können. Zumindest Letztere versucht eine im Juli 2023 erschienene Studie des National Bureau of Economic Research in Cambridge, Massachusetts, mit dem Titel „Working from Home, Worker Sorting and Development“ zu umgehen. Mit durchschnittlich 18 % höheren Leistungen der Beschäftigten im Büro im Vergleich zu ihren Kollegen im Homeoffice kommt die Studie zu einem deutlichen Ergebnis. Allerdings sind die Erkenntnisse nur für standardisierte Fokusarbeit repräsentativ und erfordern zudem einen kritischen Blick auf ihre besonderen Rahmenbedingungen. Ungeachtet dessen sind die Studie und ihre Ergebnisse eine klare Bereicherung für die weitere Diskussion.

Konzipiert und umgesetzt wurde die Studie unter der wissenschaftlichen Leitung von David Atkin und Antoinette Schoar (beide Massachusetts Institute of Technoloy) und Sumit Shinde (University of California, Los Angeles). 

Motivation der Studie

In ihrer einleitenden Literaturrecherche beziehen sich die drei Studienmacher unter anderem auf zwei wissenschaftliche Studien von Bloom et al. aus den Jahren 2014 und 2022. Die erste dieser beiden Untersuchungen bescheinigt der Arbeit im Homeoffice einen deutlichen produktivitätssteigernden Effekt. Die zweite befasst sich mit hybridem Arbeiten, für das ein positiver Effekt auf die Mitarbeiterbindung und zumindest noch eine geringe Produktivitätssteigerung nachgewiesen werden konnte. Weil aber beide Untersuchungen ausschließlich mit Personen durchgeführt wurden, die schon vor Beginn der Untersuchungen in dem betreffenden Unternehmen tätig waren, vermuteten Atkin, Schoar und Shinde, dass die gemessenen Effekte in hohem Maße auf der Auswahl der Beschäftigten bzw. ihrer Verteilung auf die einzelnen Gruppen beruhten. So wurden in der Studie von Bloom et al. im Jahr 2014 nur Mitarbeiter berücksichtigt, die sich für die Arbeit im Homeoffice gemeldet hatten. Damit verbundene Selektionseffekte, z. B. in Bezug auf Karriereambitionen, wollten Atkin, Schoar und Shinde nun ausschließen. Außerdem sollten mögliche Motivationseffekte, die sich aus der Umsetzung der Wünsche der Probanden ergaben, messbar gemacht werden. Daher entschieden sie sich für ein außergewöhnlich stark kontrolliertes Setting.

Versuchsaufbau

Aufgrund der guten Mess- und Vergleichbarkeit der Tätigkeiten wurde für die Studie die Dateneingabeindustrie ausgewählt. Durchgeführt wurde sie im südindischen Chennai. Alle Versuchsteilnehmer wurden per Stellenanzeige für eine Zeit von acht Wochen als angestellte Arbeitnehmer rekrutiert. Bei guter Leistung erhielten sie eine entsprechende Beurteilung und Unterstützung bei der weiteren Jobsuche. Als direkter Leistungsanreiz wirkte eine leistungsabhängige Vergütung. Die wöchentliche Arbeitszeit wurde für alle Teilnehmer auf 35 Stunden begrenzt. Mehrarbeit wurde mit technischen Mitteln unterbunden. Im Rahmen des Bewerbungsprozesses wurden die Probanden mit Aufgaben konfrontiert, die Teil ihrer künftigen Tätigkeit waren. Die so gemessenen Leistungen dienten unter anderem dem Ausschluss von Basiseffekten. Die Bewerber wurden zudem nach ihrer Präferenz bezüglich Homeoffice oder Büro befragt. Die spätere Verteilung erfolgte jedoch nach dem Zufallsprinzip. Zur Ermittlung weiterer Einflussfaktoren wurde die private Lebenssituation der Probanden erfasst, z. B. ob Kinder oder pflegebedürftige Personen im Haushalt zu versorgen waren oder wie aufwendig der Weg zum Büro sein würde. Eventuelle Verzerrungseffekte der gemessenen Leistungen während der achtwöchigen Versuchsdauer durch einen potenziell engeren Kontakt der Probanden im Büro zu ihren Vorgesetzten wurden durch diesbezügliche Maßnahmen im Rahmen des Untersuchungsdesigns weitgehend ausgeschlossen. Alle Versuchsteilnehmer wurden mit dem gleichen technischen Equipment ausgestattet und erhielten zu Beginn ein dreitätiges Training im Büro. In die Bewertung flossen die Arbeitsergebnisse von insgesamt 235 Personen ein, davon arbeiteten 124 im Homeoffice und 111 im Büro. Der gesamte Versuch erstreckte sich von Januar 2017 über 15 Monate. 

Ergebnisse im Überblick

Einfluss des Arbeitsorts auf die Produktivität

  • Beschäftigte im Büro waren am Ende des achtwöchigen Versuchszeitraums um 18 % produktiver als ihre Kollegen im Homeoffice. Der Effekt zeigte sich in erster Linie in einer größeren Arbeitsgeschwindigkeit der Beschäftigten im Büro, aber auch die Qualität ihrer Leistungen (fehlerfreie Dateneingabe) war besser als die der Kollegen im Homeoffice.
  • Zwei Drittel des Effekts stellten sich von Anfang an ein. Das letzte Drittel ließ sich auf eine bessere Einarbeitung der Beschäftigten im Büro zurückführen. Aufgrund des Untersuchungsdesigns kann hier davon ausgegangen werden, dass der gemessene Effekt auf den Austausch zwischen den vor Ort anwesenden Kollegen zurückzuführen war. 
  • Bei schwierigen Aufgaben stieg das Leistungsplus der Office- im Vergleich zu den Beschäftigten im Homeoffice auf 24 %.  
  • Nur ein geringer Teil der Leistungsunterschiede (2,46 %) konnte durch Pausen erklärt werden. Personen, die im Büro arbeiteten waren während 14,60 % ihrer Arbeitszeit untätig (gemessen anhand der Nutzung von Tastatur und Maus), bei den Personen im Homeoffice 17,06 %.

Wahl des Arbeitsorts

  • Die Forscher wollten auch wissen, welche Arbeitnehmergruppen es besonders ins Homeoffice zieht. Kurz gesagt, es waren die Höherqualifizierten, die schon in den Eingangstests besser abgeschnitten hatten und ihr höheres Leistungsniveau auch während der achtwöchigen Arbeitsphase nahezu unverändert aufrechterhielten – und zwar unabhängig davon, wo sie dann tatsächlich arbeiteten.
  • Bemerkenswert ist, dass auch diese Personengruppe im Büro höhere Leistungen erbrachte als im Homeoffice. Sie profitierten sogar stärker von der Büroumgebung als ihre weniger qualifizierten Kollegen.

Einflussfaktoren

  • Wie zu erwarten war, zeigte sich auch in dieser Studie, dass sich bei Präferenzen und Leistungen verschiedene Ursachen überlagern. Eindeutige Effekte stellten sich lediglich bei Arbeitnehmern ein, die parallel zur Arbeit zu Hause Kinder oder andere Personen betreuten oder deren Haushaltseinkommen deutlich unter dem Durchschnitt lag. Ihre Leistungen fielen im Homeoffice stärker ab als die anderer Probandengruppen.

Kritische Betrachtung

Bei der Interpretation der Ergebnisse muss beachtet werden, dass im Rahmen des Feldversuchs ausschließlich Fokusarbeit mit vergleichsweise geringer Komplexität zu erbringen war. Die Personen im Homeoffice hatten kaum Kontakt zu Kollegen. Zudem wurden für das Experiment auch Personen mit geringem Bildungsgrad eingestellt, die zum Teil noch nie in einem Büroumfeld gearbeitet hatten. Damit lässt sich nicht ausschließen, dass die Büroarbeit für diese Personengruppe mit einem Prestigegewinn gegenüber der Arbeit zu Hause verbunden war. Beides könnte Einfluss auf die Präferenzen für bestimmte Arbeitsorte gehabt haben. Darüber hinaus kann aufgrund der Zugehörigkeit der meisten Probanden zu einer verhältnismäßig armen Bevölkerungsschicht davon ausgegangen werden, dass es in ihrem Wohnumfeld keine dem Büro vergleichbare Ausstattung gab. Einige Elemente des Versuchs wären mit US-amerikanischen oder europäischen Arbeitsrechtbestimmungen nicht kompatibel gewesen.

Zusammenfassung der Ergebnisse

Für standardisierte Fokusarbeit konnte die Studie einen deutlichen Produktivitätsvorsprung (18 %) der Arbeitnehmer im Büro gegenüber jenen im Homeoffice nachweisen. Dabei wurde nicht ergründet, ob der positive Effekt des Büros auf einer besseren Ausstattung, auf die Arbeit im Umfeld der Kollegen oder auf anderen Einflüssen beruhte. Eindeutig belegt wurde jedoch, dass ein Drittel des Effekts auf gegenseitigem Lernen und Hilfestellung durch die Kollegen vor Ort beruhte. 

Auffallend ist, dass höher qualifizierte Arbeitnehmer durchschnittlich stärker von der Anwesenheit im Büro profitierten als ihre weniger qualifizierten Kollegen. Gleichzeitig waren es aber gerade diese höher qualifizierten Personen, die bei Beginn des Feldversuchs eine deutliche Präferenz für das Homeoffice äußerten. 

Informationen zur Studie

Quelle: Atkin, D.; Schoar, A.; Shinde, S.: Working from Home, Worker Sorting and Development, veröffentlicht in NBER Working Paper Series, Working Paper 31515, Juli 2023. http://www.nber.org/papers/w31515 

_____
Titelbild dieses Beitrags: IBA / Kinnarps