Die Kolumne für das IBA Forum von Dr. Daniel Dettling, einem der profiliertesten Zukunftsdenker im deutschsprachigen Raum, beschäftigt sich im Juni 2024 mit dem Thema Künstliche Intelligenz in der Arbeitswelt:
Die Wirtschaft der Zukunft funktioniert ein bisschen anders. Im 24. Jahrhundert gibt es kein Geld. Der Erwerb von Reichtum ist nicht mehr die treibende Kraft in unserem Leben. Wir arbeiten, um uns selbst zu verbessern – und den Rest der Menschheit.
Star Trek, Captain Jean-Luc Picard
80 Jahre nach ihrem Beginn lässt sich die Digitalisierung nicht mehr aufhalten. Die Rufe aus der Heimat der Nerds, dem Silicon Valley, nach einem Moratorium bei der Entwicklung der Künstlichen Intelligenz (KI) sind verstummt. Digitalisierung und KI sind Antworten auf die Komplexität der Gesellschaft. Nimmt diese Komplexität zu, wird mehr Digitalisierung folgen. Mit welchen Folgen für die Arbeitswelt?
Das Zeitalter der Domestizierung von Arbeit
Corona hat zu einer Beschleunigung der Digitalisierung unserer Wirtschaft und Arbeitswelt geführt. Homeoffice wurde von der Ausnahme zur Regel und selbst das vor Corona hoffnungslos unterdigitalisierte Bildungswesen wird nicht mehr zur alten Zeit zurückkehren können. Das britische Wirtschaftsmagazin Economist hat dies in einem Artikel darüber, in welchen Bereichen und wie sehr Arbeit aus dem Büro in das Zuhause verlagert wurde, unter der Überschrift zusammengefasst: „Das Zeitalter der Domestizierung von Arbeit hat begonnen“. Seit Jahrzehnten gehen die Sphären Arbeit und Freizeit immer mehr ineinander über, die Grenzen zwischen Erwerbsarbeit und Care‑, Frei- und Familienzeit werden verwischt.
Mehr sinnvolle, weil menschliche Arbeit
Automatisierung und neue Technologien haben im Laufe der Geschichte immer zu mehr Fortschritt geführt. Durch den Einsatz von Maschinen wurden Millionen Frauen und Männer von harter körperlicher Arbeit befreit. Sie konnten ihre Bildung erhöhen und ein selbstbestimmteres, freieres Leben führen. So wird es auch in Zukunft sein. In der Arbeitswelt von morgen kann es mehr sinnvolle Arbeit geben. Unsere Aufgabe als Menschen ist es nicht, möglichst effizient, sondern möglichst menschlich zu arbeiten. Intuition, Sozialität, Kreativität und Emotionalität machen uns Menschen aus. Daher werden in Zukunft andere, neue Berufe und Tätigkeiten systemrelevant.
Das KI-Paradox: Die Aufwertung menschlicher Arbeit
KI wird jene Jobs aufwerten, die Menschen nur von Menschen ausgeübt sehen wollen: Die sogenannten Caring-Jobs rund um die Bereiche Pflege, Gesundheit und Erziehung wachsen dynamisch bei Ausbildungsplätzen und Gehaltssprüngen. KI verschiebt das heutige Spektrum an Berufen in eine höhere Stufe der Evolution. In traditionellen Berufen können wir wieder zu den Ursprüngen zurückkehren, weil wir mehr Zeit für das Wesentliche haben: Ärzte können wieder heilen, statt Patienten abzufertigen; Journalisten wieder deuten, statt Informationsfluten zu verursachen; Handwerker wieder mit den Händen gestalten, statt Teile maschinell zusammenbauen zu lassen. Das Wesensprinzip der Digitalisierung, die ständige Differenzierung, bringt neue Tätigkeitsfelder hervor: Mediatoren und Moderatoren, Konnektoren und Kuratoren, Coaches und Lebensbegleiter, Mobilitätsmanager und Gesundheitsberater. Die Anzahl dieser Berufe wird die Anzahl der Tätigkeiten in der Industriegesellschaft übersteigen und mehr menschliche Kreativität hervorbringen.
KI kann Zukunft weder kennen noch voraussagen
KI ist als dialogisches System programmiert, das menschliche Konversation simuliert. Basis sind geschätzte Wahrscheinlichkeiten, mit der in einem Satz ein Wort auf das andere folgt. Generative KI kann weder denken, verstehen noch wissen, was Fakten und ihre Quellen sind. KI kann eine Zukunft, die ungewiss und offen ist, weder kennen noch voraussagen. Die Zukunft ist ein Ort voller Möglichkeiten, von denen nur wenige je Wirklichkeit werden. Die Vorstellung einer Zukunft als Idee einer offenen Reise ist eine Entdeckung, die wir verteidigen müssen. Wenn Algorithmen unsere Zukunft und damit unser Verhalten vorhersagen, werden wir diese Idee von Zukunft und damit die Zukunft selbst verlieren. KI kann uns bei vielem helfen. Die Selbstdomestizierung im Sinne einer Selbstzähmung können nur wir Menschen leisten.
Dr. Daniel Dettling ist Zukunftsforscher und Gründer des Instituts für Zukunftspolitik (www.institut-zukunftspolitik.de). Dort erschien vor Kurzem das Buch „Eine bessere Zukunft ist möglich – Ideen für eine Welt von morgen“.
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Titelbild: Dr. Daniel Dettling (Foto: Laurence Chaperon)