Die moderne Arbeitswelt fordert neue Führungsansätze. Was bedeutet „New Leadership“ und wie unterscheidet es sich von traditionellen Modellen? Wir sprachen mit Laura Bornmann, Expertin für New Work und Leadership, über die Erlernbarkeit von Führung, die Bedeutung der Persönlichkeitsentwicklung für alle Mitarbeiter und den Mut, sich von klassischen Rollenmodellen – auch in den Bereichen Führung und HR – zu verabschieden.
Was bedeutet New Leadership für dich und wie unterscheidet es sich von traditionellen Führungsansätzen?
New Leadership bedeutet, den Menschen mit seinen Potenzialen und Stärken stärker in den Mittelpunkt zu stellen und sich nicht nur an Fachwissen zu orientieren. Im Gegensatz zum traditionellen, autoritären Führungsstil, bei dem die Führungskraft den Weg vorgibt und Mitarbeitende wenig Mitspracherechte haben, geht es bei New Leadership darum, individuelle Potenziale stärker zu nutzen. In der heutigen Arbeitswelt sind Führungskräfte auf die Talente, die jeder Einzelne mitbringt, angewiesen. Dazu braucht es Kompetenzen, um diese zu entwickeln und richtig einzusetzen.
Was zeichnet eine gute Führungskraft im Kontext von New Leadership aus?
Für mich sind mehrere Eigenschaften zentral. Neben dem fachlichen Grundverständnis ist es wichtig, eine klare Vision zu haben. Außerdem die Fähigkeit, mit Komplexität umzugehen und wirksame Strategien zu entwickeln. Führungskräfte sind heute aber auch Personalentwickler. Das bedeutet, sich intensiv mit den Potenzialen und Stärken der Mitarbeitenden auseinanderzusetzen, um diese optimal einzusetzen. Menschen zu motivieren, ihre Stärken zu erkennen und weiterzuentwickeln, wird immer wichtiger. Eine gute Führungskraft gibt Energie, inspiriert und schafft Vertrauen in Zeiten des ständigen Wandels. Auch Authentizität und die Bereitschaft, sich verletzlich zu zeigen, können helfen, Vertrauen aufzubauen. Und es sollte kein Tabu sein, als Führungskraft nicht alles allein können zu müssen und sich bei Bedarf Hilfe aus dem Netzwerk zu holen. Schließlich sollte auch stärker thematisiert werden, was Führungskräfte heute im Vergleich zu früher nicht mehr können müssen.
Wie können Führungskräfte die Bedürfnisse der Mitarbeiter mit den Anforderungen an eine hohe Leistung in Einklang bringen?
Indem sie einen stärkenorientierten Ansatz verfolgen, der die individuellen Stärken und Potenziale der Teammitglieder erkennt und gezielt nutzt. Und durch echtes Interesse an und Wertschätzung für die/den Einzelnen ihnen die Möglichkeit geben, sich selbst besser kennenzulernen. Das führt zu mehr Zufriedenheit und Motivation, was wiederum die Leistungsbereitschaft steigert. Führung ist der Hebel, denn Menschen folgen Menschen und Menschen machen letztlich den Unterschied. Mitarbeitende gehen dann eher die Extrameile und sind anders motiviert. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist für mich die Persönlichkeitsentwicklung. Führungskräfte sollten ihren Mitarbeitenden den Zugang zu persönlichkeitsbildenden Maßnahmen ermöglichen. Also: Wer bin ich, was macht mich aus, was sind meine Stärken, was kann ich gut, was bringt mich in einen Flow-Zustand? Dinge, die einem leichtfallen, sind im Berufsalltag meist ein super Asset. So haben wir zum Beispiel bei REWE ein Stärken-Coaching eingeführt, zu dem alle Mitarbeitenden Zugang hatten. Solche Maßnahmen fördern nicht nur die persönliche Entwicklung, sondern tragen auch dazu bei, dass Menschen ihren optimalen Einsatzbereich im Unternehmen finden. Eines möchte ich noch hinzufügen: Die meisten Menschen wollen in dieser Welt etwas bewegen. Niemand kommt morgens zur Arbeit und sagt: Heute will ich mal einen richtig schlechten Job machen. Aber es gibt heute Dinge, die sie davon abhalten, einen guten Job zu machen. Zum Beispiel, wenn sie nicht in dem Bereich eingesetzt werden, in dem sie wirklich gut sind, in dem sie wirklich Spaß haben. Ich glaube, da liegt noch viel Potenzial. Ein weiterer wichtiger Punkt ist für mich das Thema Führung. Führung geschieht oft nebenbei, auch wenn nicht jeder dafür geeignet oder ausreichend ausgebildet ist. Das hat Gallup übrigens auch wissenschaftlich nachgewiesen. Wenn wir Führungskräfte besser auswählen, sie befähigen und ihnen auch den nötigen Freiraum zum Führen geben, werden wir mittelfristig bessere Ergebnisse und mehr Zufriedenheit erzielen.
Glaubst du, dass sich in Zukunft auch das Recruiting verändern wird? Dass Unternehmen vielleicht nicht mehr nach einer Rolle suchen, sondern nach bestimmten Fähigkeiten, die eine Person mitbringt?
Ja, das Recruiting wird sich auf jeden Fall verändern. Es wird immer wichtiger, nach spezifischen Fähigkeiten und Metakompetenzen zu suchen, statt an klassischen Rollen festzuhalten. Auch Fähigkeiten wie Empathie und Motivation werden relevanter. Viele Aufgaben, die heute in Stellenbeschreibungen stehen, sind erlernbar. Menschen, denen Empathie und Führungsqualitäten natürlich zufallen, sollten dort eingesetzt werden, wo sie ihre Stärken am besten einbringen können. Mit dem Aufkommen von KI und anderen Technologien werden viele traditionelle Aufgaben wegfallen und neue entstehen. Daher wird der Fokus auf Metakompetenzen wie Anpassungsfähigkeit und soziale Kompetenz im Recruiting immer wichtiger. Es wird darum gehen, Menschen mit den richtigen Fähigkeiten zu finden und sie flexibel einzusetzen, um besser auf Veränderungen reagieren zu können.
Wie wichtig ist Diversität im Kontext von New Leadership und welche Vorteile bringt sie deiner Meinung nach?
Diversität macht Unternehmen profitabler und erfolgreicher, das zeigen auch Studien wie die von McKinsey. Diversität bringt aber auch Probleme mit sich, denn unterschiedliche Hintergründe, Geschlechter und fachliche Perspektiven können zu Konflikten führen. Doch wenn Teams richtig begleitet und gefördert werden, entfaltet sich das große Potenzial von Diversität. Vielfalt fördert Innovation und führt zu kreativeren Lösungen. Das ist in einer sich verändernden Welt wichtig. Außerdem hilft Diversität den Unternehmen, unterschiedliche Kundengruppen besser anzusprechen und die richtigen Teammitglieder zu finden. Immer mehr Menschen, insbesondere Frauen, achten bei der Jobwahl darauf, wie divers das Management ist. Eine rein männliche Geschäftsleitung signalisiert mangelndes Engagement für Diversität und schreckt potenzielle Talente ab. Und auch hier zeigt sich: Vielfalt zahlt sich in vielerlei Hinsicht aus, Diversität ist ein Business-Case.
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Du hast vorhin auch das Thema KI angesprochen. Wie beeinflusst KI deiner Meinung nach die Führungsarbeit und wo siehst du Chancen und wo Risiken?
KI ist ein wertvolles Werkzeug, aber die menschliche Komponente bleibt unverzichtbar. KI kann Effizienz steigern, repetitive Aufgaben übernehmen und es ermöglichen, sich im Job auf seine individuellen Fähigkeiten zu konzentrieren. Aber KI birgt auch Risiken. Man sollte ihr nicht blind vertrauen. Im Recruiting kann KI helfen, geeignete Kandidaten vorzuschlagen, aber die endgültige Entscheidung sollte durch persönliche Gespräche getroffen werden. Und nicht nur das. Für mich bedeutet das, auch den Mut zu haben, mal Kandidaten mit unkonventionellen Lebensläufen einzuladen und das Potenzial im Gespräch zu erkennen.
Was war für dich als Führungskraft am schwierigsten?
Was mir immer noch sehr schwerfällt, ist, Prioritäten zu setzen, weil ich so viele Ideen habe und so viele Dinge sehe, die wir tun müssen. Aber ich glaube fest daran, dass es gut ist, sich auf einige wenige Dinge zu konzentrieren und diese wirklich gut zu machen. Aber das fällt nicht immer leicht, weil es so viele Anforderungen an eine Führungskraft gibt. Ich musste auch lernen, meine eigenen Glaubenssätze zu überwinden, wie zum Beispiel das Bedürfnis, es allen recht machen zu wollen, oder das Gefühl zu haben, nicht gut genug zu sein. Als Führungskraft kann dich nicht jeder mögen, du bist nicht Everybody’s Darling.
Was sind deine drei wichtigsten Tipps für Führungskräfte, die sich für die Rolle des New Leaders entscheiden?
Erstens: Verstehe, dass Führung erlernbar und anpassbar ist und dass man sich ständig weiterbilden und offen für neue Ansätze bleiben muss, um erfolgreich zu sein. Zweitens: Sorge für ein Umfeld, in dem Lernen Spaß macht und Neugier im Team geweckt wird. Unternehmen und Führungskräfte sollten inspirierende Weiterbildungsmöglichkeiten anbieten, um eine positive Einstellung zum Lernen zu fördern und bessere Ergebnisse zu erzielen. Drittens: Radikale Ehrlichkeit in Gesprächen über die Anforderungen und Probleme des Führungsalltags und das Schaffen von Räumen für offenen Austausch, so wie wir das zum Beispiel in meinem Workshop zu New Leadership im September im Düsseldorfer Mindset machen werden. Durch die Nutzung von Schwarmintelligenz können echte Lösungen für echte Probleme gefunden werden. Probiere mutig neue Ansätze aus und setze Veränderungen um.
Laura, vielen Dank für das Gespräch.