Die Arbeitswelt verändert sich. Künstliche Intelligenz und Innovation schreiten voran und auch der digitale Raum hält Einzug in Unternehmen. Welchen Einfluss nehmen diese Entwicklungen auf Arbeitsräume? Ein Gespräch mit Technologiestratege Jay Latta (in zwei Teilen).
Viele Unternehmen orientieren sich am Silicon Valley, nicht nur in Bezug auf Innovation, sondern auch in Hinblick auf die Etablierung neuer Strukturen in der Arbeitswelt. Wie bewerten Sie diesen Trend?
Das Silicon Valley wird von vielen als Vorbild für technologische Innovation und Zukunftsfähigkeit betrachtet. Mit diesem Verhalten verstecken wir uns aber hinter einer konstruierten Aura und verdecken damit unsere eigene Magie. Das Silicon Valley ist vor allem ein Mindset mit stark progressivem Approach. Es lässt sich aber nicht einfach so auf andere Regionen oder Länder übertragen. Betrachten wir New Work in Deutschland: Wir pressen hier agile Strukturen in Corporate Environments, haben dafür aber nicht das organisatorische Setting. Mein alter Abteilungsleiter wird auf einmal mein Product Owner. Der alte Gruppenleiter ist nun der Line Manager und nicht mehr fachlich verantwortlich, sondern der Personalverantwortliche. Daneben gibt es noch Scrum-Manager und weitere Funktionen, sprich: Die Komplexität der Strukturen in Organisationen erhöht sich. In einem Team von beispielsweise sieben arbeiten dann plötzlich nur noch vier. Der Rest der Leute hat nur noch eine Funktion. Und wir reporten auch nicht mehr nur einem Chef gegenüber, sondern müssen Bi-Weeklys, Bi-Quarterlys, Quarterlys und weitere Reports abgeben. Diese Strukturen schaffen eine umso größere Entkopplung von der Arbeit und damit eine Irritation. Die neue Struktur und die neuen Rollen führen dazu, dass niemand mehr seinen Job versteht.
Welche Art von Kultur benötigt agiles Arbeiten?
Beim agilen Arbeiten geht es darum, Menschen eigenverantwortlich Aufgaben zu übertragen, für die sie dann auch persönlich verantwortlich sind. Führung muss sich hierfür an der Frage orientieren „Wie kann ich meine Mitarbeiter glücklich machen?“ und Unternehmenskultur sich in dem Sinne verändern, dass Menschen beim Arbeiten den drei Ps – Purpose, Passion und Pleasure – nachkommen können. In Unternehmen sieht die Realität aber oft anders aus. Es braucht einen Shift weg von Abschlüssen, Zertifikaten und Zeugnissen hin zu Aufgaben, die den Fähigkeiten und Leidenschaften der Mitarbeiter entsprechen. Warum sollte sich nicht auch ein Lagerarbeiter an einem 3D-Druck Projekt beteiligen können, wenn er das notwendige Wissen dafür hat?
„New Work ist superinteressant. Mal sehen, wie wir es wieder verhunzen.“ Jay Latta
Welchen Raum braucht Innovationsfähigkeit in der Arbeitswelt?
Zunächst einmal: Wir überschätzen uns in puncto Innovation. Wir sind lngenieurskunst, wir sind kontinuierliche Verbesserung, wir sind Grundlagenforschung. Aber wir sind in Deutschland nicht kreativ oder innovativ. Warum das so ist? Zum einen: Innovation braucht den notwendigen Raum. In der Architektur unterscheiden wir zwischen harten und weichen Räumen. Der weiche Raum ist etwas, das ich gestalten kann. Das war früher mein Büro, in dem ich Bilder von meiner Familie hatte und alles, was mich sonst inspirierte. Ich konnte meinen Raum so gestalten, dass er mich entweder beschützte oder inspirierte. Die harten Räume sind Räume, in denen ich sein muss und in denen ich keinen Gestaltungsspielraum habe. Mit den New Work Environments aus dem Silicon Valley haben sich auch bei uns die Arbeitsräume verändert. Weiche Räume fielen weg und mit der Clean Desk Policy wurde Menschen noch mehr die Möglichkeit genommen, sich bei der Arbeit abzugrenzen oder zu inspirieren. Mitarbeiter werden heute in einer internen Effizienz immer mehr dazu getrieben, immer weniger Persönliches am Arbeitsplatz zu haben. Dadurch fühlen sich Menschen oft aber nur noch in einer Art Arbeitsfabrik und entkoppeln sich von Kreativität und Innovationsfähigkeit.
Es kommt noch ein weiterer Aspekt hinzu: Die Initiative, in Unternehmen Innovationsabteilungen zu gründen, entfremdet Mitarbeiter vom eigentlichen Innovationsprozess und nimmt ihnen den Raum, ihre Erfahrungen und Ideen in Kreativprozesse einzubringen. Mit diesen Strukturen suggeriert man den erfahrenen Mitarbeitern „Mach deinen Job, um Innovation kümmern sich die coolen Jungs in Skinny Jeans mit weißen Sneakern und Undercut“. Diese Entkopplung des restlichen Unternehmens von Innovation ignoriert, mit wem man es zu tun hat. Das Management aber sieht das Problem leider oft nicht.
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Welchen Nutzen bringt der neue, virtuelle Raum und hat das Metaverse das Potenzial, ein alternativer Arbeitsort zu sein?
Das Metaverse, von dem immer gesprochen wird, wird oft falsch eingesetzt und falsch verstanden. Es ist nicht NFTs oder irgendwelche verrückten Affen. Betrachtet man den Ursprung, nämlich den Roman Snow Crash von Neal Stephenson, ist das Metaverse ein Connectivity Layer, der unterschiedliche Versen miteinander verbindet. Das Metaverse ist ein Datenpool.
Wenn wir in die Arbeitsumgebungen eintauchen wollen, brauchen wir den immersiven Raum, die sogenannte XR. Virtual Reality, Augmented Reality, Mixed Reality etc. Die Visualisierung ist dabei das Hilfsmittel, um die Datenflut zu begreifen. Das ist die eigentliche Magie. Wenn Unternehmen virtuelle Räume richtig umsetzen und die richtige Philosophie dahinterklemmen, sind sie extrem wichtig in der Arbeitswelt. Der Nutzen des virtuellen Raums ist dabei vielfältig. Zum einen unterstützt er Remote Work und nimmt den Menschen den Stress. Virtueller Raum bietet ihnen aber auch sichere Orte, „safe spaces“, um sich unbeobachtet austauschen zu können, ohne Angst haben zu müssen.
Teil 2 des Interviews mit Jay Latta lesen Sie hier.