Laut jüngster IBA-Studie arbeiten derzeit zwei Drittel aller Arbeitnehmer in Deutschland hybrid. Wichtigster Arbeitsort nach dem Büro ist das Homeoffice. So ist es nicht verwunderlich, dass sich eine ganze Reihe von Forschern mit der Produktivität an den beiden Standorten befassen. Der folgende Text ist ein Versuch, die aktuelle Erkenntnislage anhand einiger Studien und wissenschaftlicher Publikationen zu beschreiben.
Selbstwahrnehmung der Beschäftigten
Die schnellste Methode, um die Frage nach der Produktivität an verschiedenen Arbeitsorten zu beantworten, sind Befragungen. Als Beispiel für viele andere werden im Folgenden einige Ergebnisse aus Andreas Pfnür et al. (2023) vorgestellt.
Befragt wurden 1.163 Bürobeschäftigte. Diese sollten unter anderem angeben, wo sie wie häufig arbeiten, wie sie die Arbeitsorte auswählen und wie zufrieden und produktiv sie an den einzelnen Arbeitsorten sind. Hier einige Ergebnisse: Die Befragten gaben an, dass die eigene Produktivität das wichtigste Kriterium für die Wahl des Arbeitsortes sei, dicht gefolgt von persönlichen Präferenzen und der jeweiligen Zufriedenheit bei der Arbeit. Mit Blick auf das Homeoffice sagten 76 %, dass sie zu Hause besonders produktiv arbeiten. 11 % glauben das nicht, 13 % sind unentschieden. Die Arbeit im Büro empfinden nur 61 % als besonders produktiv; jeder Fünfte (20 %) hat den eher gegenteiligen Eindruck und 19 % erleben das Büro mal so, mal so. Je älter die Beschäftigten sind, desto positiver bewerten sie das Arbeiten im Homeoffice. Jene, die auf dem Land leben, sind überzeugt, dass sie zu Hause produktiver sind – anders als Beschäftigte, die eine Wohnung in Innenstadtlage haben.
Wirklich bemerkenswert sind die Unterschiede aber zwischen den verschiedenen Hierarchiestufen. Während mit zunehmender Höhe der Position im Unternehmen zunächst die Bewertung der eigenen Produktivität steigt – und zwar unabhängig davon, ob im Homeoffice oder Büro gearbeitet wird –, gilt das für Mitglieder der Geschäftsführung offensichtlich nicht mehr. Sie erleben sich im Büro als ausgesprochen unproduktiv.
Das macht zwei Probleme solcher Befragungen deutlich: Selbsteinschätzungen sind immer subjektiv, Überlagerungen durch persönliche Einstellungen lassen sich kaum herausfiltern. Und fast noch wichtiger: Was mit Produktivität gemeint ist, wird selten geklärt. Das lässt einen breiten Interpretationsspielraum. So hatten die befragten Geschäftsführer bei ihren Aussagen vermutlich eher den persönlichen Output im Blick als den indirekten Beitrag zur Produktivität in Form einer Unterstützung der Mitarbeiter.
Produktivität bei standardisierten Tätigkeiten
Um diese Schwachstellen von Befragungen zu umgehen, bieten sich Feldversuche an, die allerdings wesentlich aufwendiger sind. Gute Beispiele sind zwei mit Unterstützung des US-amerikanischen National Bureau of Economic Research (NBER) entstandene Studien. Beide beschäftigen sich mit dem Einfluss des Arbeitsorts auf die Produktivität bei weitgehend standardisierten Aufgaben.
Bloom et al. kooperierten für ihren 2013 durchgeführten Versuch mit CTrip, Chinas größter Reiseagentur. Als Reaktion auf steigende Ausgaben für Miete und Betrieb der Büroflächen überlegte das Unternehmen, den Beschäftigten in einem Callcenter in Shanghai den Umzug ins Homeoffice zu ermöglichen. Die Führungsebene befürchtete jedoch, dass sich dieser Schritt negativ auf die Produktivität der Betroffenen auswirken könnte. Deshalb wurden zunächst 996 Callcenter-Mitarbeiter gefragt, ob sie an einem neunmonatigen Test teilnehmen möchten. 503 der Angesprochenen waren interessiert, 249 erfüllten alle Anforderungen für die Teilnahme. Diese Gruppe wurde schließlich in einem Losverfahren auf eine Testgruppe, die wunschgemäß ins Homeoffice umziehen durfte, und eine Kontrollgruppe, die weiter im Büro arbeitete, aufgeteilt. Die Produktivität der Beschäftigten im heimischen Umfeld stieg schnell an und lag schließlich 13 % über der ihrer Kollegen im Büro. 9 % ihres Vorsprungs ließen sich auf zusätzliche Arbeitszeit zurückführen, 4 % hatten ihre Ursache offensichtlich in schnellerem Arbeiten. Die Kontrollgruppe verzeichnete gegenüber einer früheren Messung keinen Leistungsrückgang, sodass die höhere Performance der Testgruppe tatsächlich auf die Arbeit im heimischen Umfeld zurückgeführt werden konnte.
Zu einem anderen Ergebnis kam die Studie von Atkin et al. Er und seine Kollegen wollten den Motivationseffekt, der in der Studie von Bloom et al. mutmaßlich zur höheren Produktivität beigetragen hatte, isolieren. Dafür gründeten die Forscher aus Massachusetts kurzerhand im südindischen Chennai ein Unternehmen für Datenerfassung. Auch hier wurden die zeitlich befristet eingestellten Mitarbeiter per Zufallsverfahren auf die Arbeitsorte verteilt: 124 arbeiteten im Homeoffice und 111 im Büro. Am Ende der achtwöchigen Versuchsphase lag die Produktivität der Gruppe, die im Büro arbeitete, durchschnittlich 18 % über der im Homeoffice. Bei schwierigeren Aufgaben lag die Differenz sogar bei 24 %. Zwei Drittel der Mehrleistung stellten sich gleich zu Beginn des Feldversuchs ein, das letzte Drittel ergab sich im Lauf der Zeit. 2,5 % ließen sich auf eine längere Arbeitszeit zurückführen. Für den Großteil der Produktivitätssteigerung konnten dagegen keine eindeutigen Faktoren ermittelt werden. Wahrscheinlich ist, dass Lerneffekte im Büro eine wesentliche Rolle spielten. Auch die für viele Versuchsteilnehmer ungewohnte Arbeit im Kollegenkreis könnte sich positiv auf die Motivation der Job-Neulinge ausgewirkt haben. Vor allem aber dürfte die Arbeitssituation in den indischen Homeoffices eine Rolle gespielt haben. Während nämlich sowohl von Bloom als auch von Atkin auf eine vergleichbare technische Ausstattung an den jeweiligen Arbeitsorten achteten, wurde die Einrichtung der heimischen Arbeitsplätze nicht kontrolliert. Bilder, die der Studie von Atkin et al. beigefügt wurden, zeigen aber große Unterschiede zwischen der Arbeitssituation im Büro und der zu Hause.
Produktivität bei Wissens- und Teamarbeit
Komplexer wird die Messung der Arbeitsleistung bei Wissens- und Teamarbeit. Zeitlich begrenzte Feldversuche sind hier eher nicht das Mittel der Wahl. Interessante Hinweise liefert dagegen eine von Yu-Ru Lin et al. durchgeführte Datenanalyse. Gemeinsam mit einem Team aus zwei Kollegen in Pittsburgh und Oxford wertete Lin mehrere Tausend in den USA publizierte Forschungsberichte und Patente aus. Dabei sollte ermittelt werden, welchen Einfluss auf die Arbeitsergebnisse eine Zusammenarbeit in Präsenz im Vergleich zu einer Zusammenarbeit über Distanz hat. Zunächst wurden für alle Publikationen die Standorte der beteiligten Personen ermittelt. Anhand weiterer Daten konnte die Rolle der einzelnen Personen in den Projekten ermittelt werden. Wie oft die Ergebnisse in späteren Publikationen anderer zitiert wurde, wurde herangezogen, um die Relevanz und den Neuheitsgrad der Veröffentlichungen zu beurteilen. Das Ergebnis: On-site, also vor Ort zusammenarbeitende Teams, brachten häufiger echte Innovationen hervor. Verteilt arbeitende Teams trugen eher zur Vertiefung bereits früher veröffentlichter Erkenntnisse bei. Bei gemischten Teams bestimmten häufig die Personen, die vor Ort zusammenarbeiteten, über die entscheidenden Projektschritte. Die auf Distanz eingebundenen Forscher und Entwickler beschränkten sich dagegen häufig auf unterstützende Tätigkeiten wie Datenerhebung und ‑auswertung.
Zusammenfassung und Fazit
Auch wenn die Auswahl der dargestellten Studien notgedrungen nur einen kleinen Überblick gibt, lassen sie doch ein paar Schlussfolgerungen zu:
- Motivation spielt für die Produktivität im Homeoffice eine große Rolle. Das bestätigen sowohl die Befragung von Pfnür et al. als auch der Feldversuch von Bloom et. al. Die Selbstwahrnehmung der Beschäftigten zu ignorieren wäre kontraproduktiv.
- Der Feldversuch von Atkin et al. belegt, wie wichtige das Büro für gemeinsames Lernen ist. Außerdem lässt er erahnen, welch positive Effekte das Arbeiten im Kollegenkreis und welchen Einfluss die Ausstattung der einzelnen Arbeitsplätze hat.
- Die Datenanalyse von Lin et al. zeigt schließlich, dass Wissens- und Teamarbeit anders betrachtet werden muss als das Abarbeiten weitgehend standardisierter Aufgaben. Die komplexeren Aufgaben profitieren vom gemeinsamen Arbeiten vor Ort und erhöhen die Chance auf wirkliche Innovationen.
So kommt es letztlich auf den richtigen Mix beider Arbeitsorte an. Wie er aussehen sollte, hängt vom Grad der Einarbeitung der Beschäftigten ab, vor allem aber davon, welche Art von Arbeitsleistung erwartet wird. Gerade diese Erwartungshaltung scheint aber oft unklar zu sein.