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Warum wir heute anders arbeiten müssen, um das Morgen zu retten: Interview mit Elly Oldenbourg

Work Culture

Elly Oldenbourg, Autorin Workshift
IBA Redaktionsteam IBA Redaktionsteam ·
8 Minuten

In Zeiten des Wandels gewinnt auch die Diskussion über die Zukunft der Arbeit an Bedeutung. Die IBA Forum Redaktion sprach mit Elly Oldenbourg, Autorin des Buches „Workshift“, über die Frage, warum wir heute, nicht erst morgen, anders arbeiten müssen. Im Gespräch geht es um die Notwendigkeit struktureller Veränderungen und darum, wie eine flexiblere und gerechtere Arbeitswelt gestaltet werden kann.

Elly, warum müssen wir heute anders arbeiten, um unser Morgen zu retten?

Der Untertitel meines Buchs mag Pathos mit sich bringen, ist aber meiner Meinung nach angebracht. Denn: Schauen wir uns die Welt und die riesen Herausforderungen an, die wir auf der Makroebene als Polykrise erleben: Klimakatastrophe, Kriege, demografischer Wandel, ein Arbeitsmarkt, der immer mehr unter Druck gerät, rasante technologische Entwicklungen wie KI. Genauso angespannt sieht es in unseren Mikrowelten aus: steigende Burn-out-Raten, Mental-Health-Krisen, Quiet Quitting. Egal, ob wir auf die Makro- oder Mikroebene schauen: So wie es jetzt ist, kann es nicht weitergehen. Die meisten von uns suchen nach Hebeln, all diesen Krisen zu begegnen, nur wird oft der Teil des Lebens ausgespart, mit dem wir die meiste unserer wachen Lebenszeit verbringen: unserer Erwerbsarbeit. Genau hier setzt mein Buch an, vor allem meinesgleichen gewidmet: den Wissensarbeiter*innen der großen Privatwirtschaft, die damit enorme Privilegien, Einfluss und Hebelwirkung in der Gesellschaft und Wirtschaft haben. Sie möchte ich erreichen mit der Botschaft: Die Optimierung des Status quo hat ausgedient. Unsere Welt braucht jetzt neue Antworten!

Was bedeutet „Workshift“ konkret für dich? Was muss sich in den Unternehmen und in den Arbeitsmodellen ändern?

Workshift ist für mich zweierlei: ein Appell, Arbeit endlich neu zu erfinden, um unsere Leben reicher, die Wirtschaft krisenfester, unsere Demokratien resilienter und den Planeten gesünder zu machen. Zum anderen ist Workshift aber auch konkrete Hilfestellung für Individuen und Entscheider*innen mit Lösungsvorschlägen auf vier Wirkungsfeldern, die ich im Buch beschreibe: die Art und Weise, wie wir unsere Zeit strukturieren, wie wir effektiver miteinander kollaborieren, wie wir Vielfalt konkret für bessere Ergebnisse nutzen, und nach welchen Kennzahlen wir Leistung und Gewinn bemessen. Außerdem mag ich die Doppeldeutigkeit des Begriffs sehr: Workshift im Sinne von Wandel der Arbeit, gepaart mit der zeitlichen Dimension des englischen Begriffs der Arbeitsschicht.

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Kannst du uns ein konkretes Beispiel aus dem Wirkungsfeld Zeit geben?

Unternehmen schreien nach mehr Produktivität, Individuen nach mehr Flexibilität – ein scheinbar unüberwindbarer Dissens. Ich sehe darin aber eine Riesenchance: Anstatt Performance-Parties und Busyness aufgrund vermeintlich eindeutiger Kennzahlen und Vergleichbarkeit zu glorifizieren, auf wirkliche Produktivität im Sinne von fachlicher Kreativität oder tragfähiger Innovation zu setzen. Hier spielen für mich flexible Arbeitsmodelle – und davon gibt es weit mehr als die klassische Teilzeit – eine zentrale Rolle, denn sie hängen erwiesenermaßen maßgeblich mit Produktivitätssteigerungen zusammen, weil man im wahrsten Sinne des Wortes effizienter ist. Und die gewonnene Zeitsouveränität bei den Einzelnen ist dann nicht nur ein Zeitgewinn für Familie, Freunde, die eigene Gesundheit, sondern bietet auch die Möglichkeit, ökologischere Entscheidungen zu treffen oder auch Demokratie aktiv mitzugestalten, zum Beispiel durch nachbarschaftliches oder ehrenamtliches Engagement. Die Kombination all dieser Tätigkeiten – und eben nicht nur die Erwerbsarbeit – ist für mich fundamental für einander zugewandte Gemeinschaften, für eine größere Selbstwirksamkeit der Einzelnen, aber eben auch: für ausgeschlafenere, leistungsbereitere, produktivere Fachkräfte.

Auch Zusammenarbeit spielt in deinem Buch eine große Rolle. Warum?

Kollaboration wird in Zukunft bei der Problemlösung immer wichtiger werden. Warum das so ist, liegt für mich auf der Hand: Die fortschreitende Digitalisierung und KI führen zu größerer Komplexität, ergo Spezialisierung, ergo Spezialist*innen, ergo Silos – dabei kämpfen Unternehmen schon heute mit großen Synergieverlusten aufgrund von Silos und nimby-Mentalität (nimby = not in my backyard). Kurzum: Wir werden also Mehr voneinander und den verschiedenen Expertisen abhängig sein. Und genau dafür werden wir nicht mehr KI, sondern auch enorm viel Lern- und Kollaborationsfähigkeit, oder Empathie- und Reflexionsvermögen brauchen. Was aber in heutigen Unternehmensrealitäten trotz hunderter Kollaborationstools stattdessen oft die Norm ist, sind Machtspiele, Selbstdarstellung oder verfilzte Strukturen. Die ständige Fokussierung auf das Ich, die eigene Karriere, den eigenen Status, anstatt auf das Wir und die gemeinsame Sache ist meiner Ansicht nach völlig kontraproduktiv. Besonders wenn man bedenkt, dass wir für die großen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Innovationen, den zukünftigen Umgang mit KI oder die Bewältigung von Extremismus als Weltgemeinschaft grenzübergreifende Kollaboration genauso dringend brauchen und kultivieren müssen. Im Buch zeige ich auf, wie wir genau diese Kompetenzen wieder stärken können.

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Was sind deiner Meinung nach die notwendigen Schritte für eine flexiblere und gerechtere Arbeitswelt?

Ich glaube, dass in einer flexibleren und gerechteren Arbeits- und Wirtschaftswelt genau wie in der ganzen Gesellschaft der Fokus auf Chancengerechtigkeit liegen muss. In Workshift zeige ich auf, wie Arbeit Teil der Lösung für eine bessere, gerechtere Welt sein kann, und wie wir durch die Förderung von Unternehmen und Teams mit vielfältigeren Menschen in chancengerechten und inklusiven Umfeldern darin zu diesem Ziel beitragen können. Dies ist für mich nicht nur eine ethische Verpflichtung, sondern auch ein klar wirtschaftlicher Vorteil – die Flut an Studien, die dies belegen, ist immens: Unternehmen fördern ihre Innovationskraft, verbessern die Problemlösungsfähigkeit und unterstützen eine offenere, innovativere Kultur. Dies führt zu einer stärkeren, widerstandsfähigeren Wirtschaft und damit zu gerechteren, inklusiveren Gesellschaften. Ich skizziere im Buch, wie das gelingen kann – aber nicht nur in den Unternehmen, sondern auch in jedem von uns persönlich. Denn ich habe festgestellt, dass auch wir als Individuen seit vielen Jahren vor allem nur noch eins tun: uns um selbst oder unsere Arbeit drehen. Sich die eigene Pluralität und Vielfalt zuzugestehen, und sie aktiv in unsere Mikrokosmen einzubringen, ist für mich auch ein wesentlicher Hebel.

Als ehemalige Google-Managerin und durch deine Beratungstätigkeit in Unternehmen und Start-ups hast du sicherlich Einblick in verschiedene Arbeitskulturen erhalten. Welche Elemente einer positiven Arbeitskultur haben dich besonders beeindruckt, und wie können Unternehmen diese Kultur erfolgreich pflegen?

Kultur lebt für mich von menschlicher Zugewandtheit und einer Mentalität des Ausprobierens. Das vermisse ich oft. Zentral ist dabei das eigene Vorangehen. Nicht über Ideen reden, nicht nur Meinungen zu etwas haben, sondern wirklich selbst ausprobieren und sich im Zweifel von der Erfahrung belehren lassen – ohne den Anspruch, alles um 180 Grad zu verändern, sondern zu lernen. Dieser Appell richtet sich vor allem an Führungskräfte und die C‑Level-Ebene. Wir müssen aufhören,Dinge anzubieten, sondern selbst die Legitimation für Veränderung werdenVor allem, indem wir nicht mehr meinen, dass man zuerst den aktuellen Normen und Idealen gerecht werden muss, um dann, wenn man es schafft, in die dafür erforderlichen Positionen zu kommen, das System von innen heraus zu verändern. Umgekehrt wird meiner Ansicht nach ein Schuh draus, erst recht im Hinblick auf die enormen Herausforderungen der Welt: dass jede und jeder JETZT zu einem kulturellen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Wandel beiträgt, damit alle ein neues, besseres, nachhaltigeres, gesünderes Leben leben können. Nicht trotz, sondern mit einer zukunftsfähigen, nachhaltigen Wirtschaft. Im Rahmen einer resilienten Demokratie. Auf einem hoffentlich gesunden Planeten.

Wie können Raumkonzepte die Arbeitskultur positiv unterstützen?

Für mich spielt Raum eine entscheidende Rolle bei der Unterstützung von Arbeitskultur. Ich glaube an die Macht der Begegnung, bin ein großer Fan von räumlicher Flexibilität und einer guten Balance zwischen Rückzug und Offenheit. Gleichzeitig finde ich Elemente wie frische Luft, natürliches Licht und Bewegungsmöglichkeiten wichtig, um Menschen immer wieder an die natürlichen Energiequellen im Leben zu erinnern.

Elly, vielen Dank für das Gespräch.

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Elly Oldenbourg, Managerin, zuletzt langjährig bei Google, engagiert sich für eine flexiblere und gerechtere (Arbeits-)Welt. Sie ist Autorin des Buches Workshift: Warum wir heute anders arbeiten müssen, um unser Morgen zu retten, Gastdozentin am KIT, Beraterin, Speakerin zu Themen wie New Work, DEI und Jobsharing, Co-Gründerin des New Work Online-Kurses, Gastgeberin des philosophischen „Morgen.Salon“ und Aufsichtsrätin beim World Future Council. Weitere Informationen unter https://ellyoldenbourg.de/.

Titelbild: Xenia Bluhm