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Lernen mit großem L. –
von Christiane Gina Bertolini

Essay

Christiane Bertolini, Foto: Anna Wasilewski
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6 Minuten

Was haben Ferien mit Lernen zu tun? Die Unternehmerin und DNA.club Gründerin Christiane Bertolini über Entwicklungssprünge und Lernen im beruflichen Alltag …

Hurra, Feeeriiieeen! Was haben Ferien, die das Gegenteil von Schule und Arbeiten sind, mit Lernen zu tun? Warum machen wir seit unserer Kindheit in den Ferien und besonders in großen Ferien immer so einen Entwicklungssprung? 

Weil Ruhe reinkommt. Ruhe reinbringen – für Gundl Kutschera, Grande Dame der Soziologie und Psychologie – das Wichtigste in der Elementarpädagogik. Ins Gras legen und in den Himmel schauen, alles andere kommt von selbst, denn es ist schon da. Neugierde, Phantasie, Aufmerksamkeit, Geschichten, Ideen und das Selbstverständnis, wie du sie umsetzen kannst, die Lust auf Abenteuer, die Kraft für Neues. In den Himmel schauen und das Ziehen dorthin spüren, wo deine Stärken liegen. 

Dich im Unternehmen ins Gras legen und in den Himmel oder auf die Decke schauen, allein oder kollektiv? 

Erstens ja, frei nach unserem Lieblingsmotto: why not? Und zweitens genauso im Sitzen und Stehen Ruhe reinbringen. Formate finden, die passen. Für das Unternehmen, die Organisation, die Community – das deutsche Wort Gemeinschaft ist übrigens auch sehr schön, können wir durchaus mehr verwenden. Ruhe und Raum für Konzentration schaffen, für konzentrierte Gespräche ohne Dauerablenkung. Zu konkreten Themen und Projekten oder auch im absichtslosen Raum, wo oft die größten Innovationen entstehen. Sprechdenken in Teams, abteilungsübergreifend, unternehmensübergreifend. Je mehr Unterschiedlichkeit und Bandbreite unter den Teilnehmern und Protagonisten, desto mehr Möglichkeitsräume, desto besser und zukünftiger das Ergebnis, desto mehr mentale Liquidität. mental liquidity = die Fähigkeit, bei Veränderungen und neuer Information laufend aktuelle Grundsätze und Haltungen aufzugeben, sie zu verflüssigen.

Akademien, Lernplattformen, Brain Pools, Talentkitzler, Wissensimmunsysteme und Stimmungsfelder aller Art bauen. Mit klassischen und offenen Elementen. Intern und/oder extern im Verbund mit anderen Unternehmen und durchlässig mit Zufallsgästen. 

Eine gemeinsame Sprache finden, auch ohne Wörter. Möglichst viele Farben sehen und möglichst viele Stimmen hören, auch durch Vorleserunden mit für Unternehmen erwarteter und unerwarteter Literatur. Generell jeder für sich lesen, echte Bücher im Kontrast zu den gewohnt kurzen Aufmerksamkeitseinheiten. Oder wenn’s kurz und knackig sein soll: Gedichte, Poesie, Lyrics. Lesen ist etwas ur Persönliches und ur Entwickelndes. In andere Welten und andere Selbstverständnisse eintauchen, Wahrnehmung und Sinne schulen – da ist das Lernen zuhause. Und die Fähigkeit, Geschichten zu erzählen, die als eine der relevantesten Zukunftstalente gehandelt wird.

Ich glaube an Phantasie, und wünsche mir das Schulfach ‚Phantasie‘ in allen Schulen für alle Schulstufen und Phantasiebeauftragte in Unternehmen und Institutionen. 

Wer Phantasie hat, ist aufmerksam, hört anderen zu, entdeckt und versteht Geschichten und unerwartete, wesentliche Zusammenhänge, schreibt Geschichten, liest und liest vor, sieht Farben in all ihrer Vielfalt, glaubt an Märchen und ihre Kraft in echt, und findet bei allem Ernst der Lage gute Gründe für Zuversicht.

Augenblicke zulassen, Stimmungen sehen und ihnen Raum geben, direkt oder spielerisch. 

Überhaupt wieder mehr spielen. Spielen ist lernen, vom Spiel selbst und voneinander. Kennst du das Fadenspiel, das du nicht allein, nur verwoben spielen kannst, und wo eine Stärke und Möglichkeit in die andere greift und du nie vorher weißt, wo’s hinführt? Die Wissenschaftstheoretikerin und Biologin Donna Haraway schwört darauf, um zu erklären, wie alle und alles tentaklisch zusammenhängen. Tempelhüpfen, Gummihüpfen, Trampolinhüpfen und ihre hüpfende AI Verwandtschaft ist auch top fürs Lernen, weil dadurch im Gehirn die Bereiche für Lernbereitschaft und ‑verarbeitung angeregt werden. Wie bei allen Tätigkeiten, wo du nicht wirklich (an anderes) denken kannst, zum Beispiel beim Singen, Reiten oder Fangen spielen. Letzteres haben wir kürzlich beim Future.Circle von Anthropologin Bettina Ludwig spontan in der Mittagspause gemacht, und es war großartig.

‚Bist eine alte Kuh, lernst immer noch dazu.‘ hat meine Wiener Großmutter immer gesagt. 

Neuroplastizität nennt die Wissenschaft das Phänomen, das unser Hirn bis zu unserem letzten Tag lernen kann und das uns lebendig hält. Damit Neues entstehen kann, darf und muss Altes gelassen werden. Exnovation heißt das und die ist oft weniger einfach als Innovation. Die Ferien sind ein guter Zeitpunkt, um Altes loszulassen. Um das Loch zu finden, wo die Phantasie rein kann. Ruhe reinbringen, um in Bewegung bleiben zu können. Tanzen, immer weiter tanzen. Ich habe Lateinunterricht geliebt und dort viel Fächerübergreifendes gelernt, z. B. disco (lat.) = ich lerne.

Lernen mit großem L. Durch Musik lernst du viel. Sie ist ein Spiegel und zeigt uns, wer wir (gerade) sind. 

Musik führt uns in eine offene Welt von Gefühlen und in eine Welt mit anderen, die wir brauchen, um uns zu beziehen und um zu lernen. Grenzen zu bauen macht uns klein, Durchlässigkeit macht uns groß.  Andere und dich durch die anderen kennenlernen, voneinander lernen und immer wieder gemeinsam Neues erleben. Spaß an dem haben, was du tust. Riccardo Muti hat das Neujahrskonzert und die neue Zeit einst mit Esperanza/Hoffnung ausgerufen und abgeschlossen mit den Worten: 

‚We are still here, believing in the message of music. Musicians have in their weapons flowers. Not things that kill. We bring joy, hope, peace, brotherhood, Love – with capital L.’

Und dann gibt es im Abwechslungsreich noch das Große L, das Geschichten erzählende Lagerfeuer, das nie ausgeht und lebendig knisternd alle Geschichten der Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft und Zeitlosigkeit speichert – in Worten, Bildern, Tönen, Farben, Stimmungen. Damit die Menschen nie aufhören, Geschichten zu erzählen, sie neu weiter zu erzählen, und zu lernen. 

Christiane Gina Bertolini * Unternehmerin, Entwicklerin, Fairy Tailor – lebt und arbeitet in Wien und unterwegs. Sie ist Gründerin des DNA.club – Brain Pool und Kooperative von Unternehmen aller Genres und Größen. Derzeit arbeitet sie an einem Venture, bei dem es um Stimme, Stimmung und die Verbindung zu dir selbst und zu anderen geht, auch durch eine neue Art von Sprache. info/color funding/connecting the dots: www.stimmder.com. Und immer schreibt sie Geschichten.


Fotografin des Titelfotos: Anna Wasilewski

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